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"Montecristo" - Die Krise als Krimi

24.02.2015, 14:23

Zürich - "Da gibt es auch wieder ein paar Böse." Viel mehr hatte Martin Suter zunächst nicht verraten, als Reporter sich nach der Arbeit an seinem neuen Roman erkundigten. Nun liegt er vor und es zeigt sich: Das war durchaus eine Untertreibung.

In "Montecristo" gibt es etliche ebenso aalglatte wie skrupellose Mieslinge.

Anders wäre es vielleicht kaum gegangen. Schließlich recherchiert der Schweizer Bestsellerautor gründlich und schreibt - bei aller Fantasie - wirklichkeitsnah. Sein neuester Streich ist ein Thriller aus der Welt der Banker, Börsianer und Politiker. Und dass es da kaum "Gute" gibt, glauben seit dem Ausbruch der Finanzkrise bekanntlich viele Menschen.

Die Geldmetropole Zürich ist Schauplatz eines gigantischen Skandals. Er könnte die globale Wirtschaft in den Abgrund reißen. "Wir hätten es mit einer Weltwirtschaftskrise zu tun, wie sie der Planet noch nie gesehen hat", lässt Suter den Chef der Eidgenössischen Finanzverwaltung sagen. "Arbeitslosigkeit, Nahrungskrisen, Hungersnöte, Krieg."

Wäre da nicht eine elitäre Geheimgesellschaft, der sogar Beamte und Regierungsmitglieder angehören. Und der jedes Mittel recht ist, die Sache zu vertuschen. Mord inklusive. Hollywood käme bei einem solchen Stoff kaum ohne einen am Ende doch noch triumphierenden Gutmenschen aus. Bei Suter, dem meistgelesenen und am häufigsten verfilmten Autor der Schweiz ("Der Koch"), siegt hingegen der Zynismus.

Von der Schweizerische Nationalbank über Amerikas FED bis hin zum Internationalen Währungsfonds und der Europäischen Zentralbank - alle scheinen zu wissen, dass das globale Finanzsystem nichts weiter als eine "große Seifenblase" ist. "Und wir werden uns darin so behutsam wie möglich bewegen, denn niemand will, dass sie platzt", so der oberste Finanzbeamte eben jener Alpenrepublik, wo Banker jahrelang keine Skrupel hatten, Schwarzgeldmilliarden aus aller Welt profitträchtig zu verwalten.

Suters Romanheld, der Video-Journalist Jonas Brand, bekommt die Chance, die größte Schweinerei in der Finanzbranche seit dem Lehman-Brother-Skandal aufzudecken. Durch einen Zufall flattern ihm zwei 100-Franken-Noten mit exakt derselben Seriennummer zu. Natürlich glaubt er, eine davon müsse ein Fälschung sein. Doch beide erweisen sich als so echt, wie das einzigartige Matterhorn.

Und es hat viele solcher "Doppelnummern" gegeben, Milliarden im Nennwert. Doch warum? Und was hat der angebliche Freitod eines Schweizer Investmentbankers damit zu tun. Der Mann war aus einem Zug gestürzt, in dem zufällig auch Brand mit seiner Kameraausrüstung saß.

Schon bald muss der Video-Reporter erkennen, dass die Suche nach der Wahrheit für ihn lebensgefährlich ist. So lebensgefährlich wie es ein "Bankrun" - ein Schaltersturm von Kunden, die aus Angst um das Ersparte ihre Konten leerräumen - für jedes Geldhaus der Welt wäre.

Suters Romanheld ist 38, geschieden, gut aussehend, charmant. An der Seite von Marina, einer prima gebauten Zürcherin mit schulterlangem Haar, asiatischen Gesichtszügen und grünen Augen träumt er davon, seine moderne Version der Rache-Saga vom Grafen von Montecristo für das Kino verfilmen zu können.

Bisher hatten alle Produzenten nur müde abgewunken. Doch plötzlich finden sich Geldgeber für die "Montecristo"-Filmproduktion, während Jonas Brand mit seinen Recherchen für eine Enthüllungsreportage über die doppelt nummerierten Frankenscheine vorankommt.

Es wird kaum ausbleiben, dass dem Leser angesichts finsterer Machenschaften von Finanzmanagern und Politikern die Galle hochkommt. Spätestens beim Gedanken daran, dass der "kleine Mann" mit dem Schwund seiner Ersparnisse für die Krise bezahlt. Doch aus Ärger über was auch immer, sagt Suter im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur (dpa), schreibe er seine Bücher grundsätzlich nicht. "Ich schreibe sie aus Freude darüber, meine Leser für ein paar Stunden oder Tage in eine andere Welt zu entführen." Das gelingt ihm auch diesmal wieder bestens.

- Martin Suter: Montecristo. Diogenes Verlag, Zürich, 320 Seiten, 23,90 Euro, ISBN 978-3-257-06920-4.