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Eine Kriminalgeschichte der Künste - "Schlimme Finger"

21.04.2015, 13:57

Berlin - "Künstler und Verbrecher sind doch Weggefährten", schrieb einmal Joseph Beuys. "Beide sind ohne Moral, verfügen über eine verrückte Kreativität, nur getrieben von der Kraft der Freiheit."

Dass Genie und Kriminalität nicht so weit voneinander entfernt liegen, meinten auch manche Psychologen. So schrieb Wilhelm Lange-Eichbaum 1927 in seinem Buch "Genie, Irrsinn und Ruhm" über den Franzosen Paul Verlaine: "Diesem größten Dichter der Symbolisten gelingen manchmal Perlen von Stimmungsgedichten. Sonst Vagabund und Verbrecher."

So platt gibt sich das Buch "Schlimme Finger. Eine Kriminalgeschichte der Künste" von Rolf-Bernhard Essig und Gudrun Schury Gott sei Dank nicht. Ihre 18 Künstlerporträts von der Renaissance bis heute lassen mitnichten darauf schließen, dass Künstler insgesamt anfälliger für kriminelle Akte sind. Meistens werden sie aus denselben Motiven zu Verbrechern wie Normalbürger: Geldgier, Rachsucht oder Eifersucht. Auch soziale Not und die jeweiligen Zeitumstände spielen eine Rolle.

Renaissance- und Barockkünstler wie Benvenuto Cellini und Michelangelo Merisi da Caravaggio würden wir heute in die Rubrik Schlägertypen einordnen. Ihre Raufhändel und Racheakte zeitigten hässliche Ergebnisse. So tötete Cellini 1529 als Vergeltung den Mörder seines Bruders und Jahre später einen lästigen Konkurrenten. Caravaggio gilt als Prototyp des verruchten Künstlers. Lang ist die Liste seiner blutigen Händeleien. Einmal erstach er einen jungen Mann bei einem gewalttätigen Streit und musste fliehen.

Ebenso wie Cellini fand er aber immer wieder Gnade bei seinen Gönnern. So heißt es etwa über Cellini, der Papst habe ihn nach dem ersten Mord nur mit einem "grimmigen Seitenblick bestraft". Damals galten solche Schlägereien unter jungen Heißspornen als Kavaliersdelikt, selbst wenn sie tödlich endeten. Der Papst fand zudem, "Männer wie Cellini, die in ihrem Beruf einzigartig sind", seien nicht dem Gesetz unterworfen. Kurz: Ein Genie kann kein Verbrecher sein.

Andererseits sind manche "Verbrechen" von Künstlern, über die man sich früher erregte und die zu harten Bestrafungen führten, in unseren Augen gar keine mehr. Etwa die Homosexualität von Oscar Wilde, die ihn ins Zuchthaus brachte. Kein Verständnis haben wir auch für das Urteil gegen den katholischen Barockkomponisten Francis Tregian, der sich weigerte, anglikanische Gottesdienste zu besuchen und deshalb für zehn Jahre ins Gefängnis musste.

Bizarr waren die Umstände, unter denen der Schriftsteller Hans Fallada offiziell zum Totschläger wurde. Mit 18 Jahren beschloss er zusammen mit einem Freund aus dem Leben zu scheiden. Der Doppelselbstmord war als Duell getarnt, doch nur der Freund starb, Fallada überlebte schwer verletzt und wurde als Totschläger verurteilt. Im Laufe der Zeit wurde seine Straftatenliste immer länger, das meiste davon war allerdings Beschaffungskriminalität eines Süchtigen.

Eine Reihe von Schriftstellern wurde erst in der Haft zu Künstlern. Das gilt etwa für den Kleinkriminellen und Hochstapler Karl May, der zum Bestsellerautor avancierte, aber auch für Henri Charrière ("Papillon"), Jean Genet oder die jung verstorbene französische Autorin Albertine Sarrazin. Gerade Genet und Sarrazin lebten sehr gut von ihrem Ruf als Underdogs.

"Fast sein ganzes Werk ist eine Verherrlichung geächteter Gesetzlosigkeiten", schreiben die Autoren über Genet, der mehrfach wegen Diebstahls und Betrugs inhaftiert war. Sartre und andere Intellektuelle baten den französischen Präsidenten 1948 um eine Ausnahmeregelung für den verehrten Dichter. Genet wurde tatsächlich begnadigt. Auch der Kunstfälscher Beltracchi, der 2011 zu sechs Jahren Haft verurteilt wurde und mit dessen Porträt der Band endet, hat viele Bewunderer. Sein Verbrechen erscheint ihnen weniger als verwerfliches Delikt denn als genialer Schelmenstreich. Ein aus den Fugen geratener Kunstmarkt habe hier eben seinen Meister gefunden.

- Rolf-Bernhard Essig, Gudrun Schury: Schlimme Finger. Eine Kriminalgeschichte der Künste. Von Villon bis Beltracchi, C.H. Beck Verlag, München, 304 Seiten, 14,95 Euro, ISBN 978-3-406-67372-6.