1. Startseite
  2. >
  3. Kultur
  4. >
  5. Buch
  6. >
  7. Die Ruhe im Sperrgebiet

Buchvorstellung Die Ruhe im Sperrgebiet

Der Roman "Die grüne Grenze" spielt im Ost-Harz zwischen 1973 und 1980. Autorin Isabel Fargo Cole in einer Welt voller Widersprüche.

Von Christina Sticht 07.03.2018, 23:01

Berlin (dpa) l Schon mehr als die Hälfte ihres Lebens hat die Amerikanerin Isabel Fargo Cole in Berlin verbracht – und sie schreibt auf Deutsch. An den Schauplatz ihres Debütromans „Die grüne Grenze“ reiste die in New York aufgewachsene 44-Jährige erstmals 1991. Beim Wanderurlaub im Harz war sie auch in den kleinen Orten Sorge und Elend unterwegs, die bis zum Mauerfall im DDR-Sperrgebiet lagen. Jetzt hat die Übersetzerin vieler bekannter DDR-Autoren ins Englische einen vielschichtigen Roman über das Leben in dem untergegangenen Staat vorgelegt.

Hauptfigur von „Die grüne Grenze“ ist der Schriftsteller Thomas Grünberg, der 1973 mit seiner schwangeren Frau, der Bildhauerin Editha, von Ost-Berlin nach Sorge zieht. Ausgerechnet in der Nähe des Todesstreifens will der Autor aufatmen, im Wald Ruhe finden und einen großen Roman schreiben. Doch nachts hört man oft Schüsse und Hundegebell von den Grenzanlagen, Soldaten und Pass-Kontrollen gehören zum Alltag.

Cole hat für ihr Buch in Archiven recherchiert und mit Bewohnern des ehemaligen Sperrgebiets gesprochen. „Die grüne Grenze“ ist jedoch weit mehr als ein zeitgeschichtlicher Roman. Auf fast 500 Seiten entfaltet die Autorin ein Panorama mit Märchen und Sagen, Bezügen zur römischen Eroberung Germaniens und zu den wirtschaftlichen Aktivitäten der Mönche in den Klöstern Ilsenburg und Walkenried im Mittelalter. „Ich flechte gern gefundene Stoffe ins Narrativ, die Schwingungen verursachen oder eigene Räume aufmachen“, sagte sie in einem von ihrem Verlag Edition Nautilus veröffentlichten Interview.

Schon zum Auftakt des Buches legt die Autorin zahlreiche Fährten, manche Rätsel werden erst viel später oder gar nicht gelöst. Thomas und die kleine Tochter Eli stehen Editha Model für ein Standbild „Soldat mit Kind“ – Inspiration ist offensichtlich das monumentale sowjetische Ehrenmal im Treptower Park in Berlin.

Thomas selbst war so ein Kind, von einem Rotarmisten aus einem Versteck in den Trümmern Berlins gezogen und gerettet. Er ist Waise und Jude, kennt seine Wurzeln nicht. Das alles erzählt Cole von der Mitte des Buches an. Die ausführliche Rückblende beginnt im Jahr 1950. Thomas‘ russischen Ziehvater Lew schütteln nachts Weinkrämpfe. Als Kindheits-Freundin taucht Lena auf und übernimmt eine zentrale Rolle in der weiteren Handlung. Schließlich kommt der Junge in ein Waisenhaus und wird von einem gefühlskalten, stramm sozialistischen Ehepaar adoptiert, das unbedingt ein „Russenkind“ haben will.

Die Rückblende endet mit der Begegnung mit Editha, dann springt Cole in das Jahr 1980, wo der Druck zunimmt. Persönliche Kriegs-Traumata, die Nachwirkungen von Stalinismus und Nationalsozialismus und der einschnürende Staatsapparat der DDR belasten die Protagonisten. Die anfangs harmonisch wirkende Kleinfamilie in dem geerbten Haus im Harz treffen Erschütterungen. Und eines Tages flüchtet die sensible Tochter Eli in den dunkelgrünen Wald, welcher den Harzer Sagen zufolge von Hexen bevölkert wird, und der die Grenze mit den Selbstschussanlagen verbirgt.

Coles Roman ist atmosphärisch dicht, zuweilen überladen. Dem Leser steht es jedoch frei, sich auf eine der vielen Schichten zu konzentrieren: Zum Beispiel auf den inneren Zwiespalt von Künstlern in der DDR - zwischen Unterstützung der sozialistischen Utopie und Zweifeln am Staatsapparat, etwa als Wolf Biermann ausgebürgert wird. Interessant ist auch die Psychologie der zerrissenen Figuren. Unter der Sprachlosigkeit und den Lügen der Erwachsenen leiden die Kinder am meisten.

Isabel Fargo Cole: Die grüne Grenze, Edition Nautilus, Hamburg 2017, 490 Seiten, 26 Euro.