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Bücher Kein Rückenwind

Schriftsteller und Buchbranche leiden unter der Corona-Zeit.

Von Grit Warnat 05.05.2020, 01:01

Halle/Leipzig l Die kleinen Verlage sind hart im Nehmen. Der Markt ist umkämpft, wird regiert von den großen Konzernen. Tiefschläge gibt es immer wieder – wie vor einem Jahr durch die Insolvenz des Zwischenbuchhändlers KNV vor einem Jahr und die deutlichen Portoerhöhungen bei Büchersendungen seit Anfang Januar wurde getrotzt. Aber Bücher an den Leser bringen, war noch nie so schwer wie in Corona-Zeit, sagt Roman Pliske, Geschäftsführer des Mitteldeutschen Verlages in Halle, größter Verlag in Sachsen-Anhalt.

In einem Brandbrief beschreibt Pliske das Dilemma: „Seit Mitte März registrieren wir einen starken Einbruch der Verkaufszahlen, einzelne Frühjahresneuerscheinungen wurden schon nach wenigen Tagen aus dem Sortiment zurückgegeben, da auch der Buchhandel kein Kapital binden kann. In der zweiten Märzhälfte hatten wir nur 20 Prozent des Umsatzes des Vorjahres, der April begann gar mit Minusumsätzen. Die Buchhandlungen verkaufen derzeit Bestandsware. Der Onlineriese Amazon verkauft bis Mai keine neuen Bücher der Verlage, weil er sich den relevanten Produkten zuwendet.“

„Ich mache mir nicht nur Sorgen um den Verlag. Ich habe große Angst, dass vieles, was jetzt passiert, das Kulturgut Buch abwertet“, sagt der Germanist, Verleger, Buchliebhaber im Volksstimme-Gespräch.

Seit Oktober 2004 ist Roman Pliske Geschäftsführer des traditionsreichen Verlages. Dessen Gründung war 1946. Zu DDR-Zeiten erschien „Spur der Steine“ im Mitteldeutschen Verlag und Christa Wolfs „Der geteilte Himmel“. Auch Bruno Apitz’ Buchenwald-Roman „Nackt unter Wölfen“. Er hatte dem Haus im Jahr 1958 den ersten Welterfolg beschert. In der Bibliothek des Verlages ist diese Tradition gegenwärtig. In den Regalen stehen dicht an dicht Romane von Harry Thürk und Günter de Bruyn, Werner Bräunig und Volker Braun.

Wende, Insolvenz, ein Neubeginn. Sein Verlag kenne sich aus mit stürmischen Zeiten, sagt Pliske. Einen großen Verlust erlitt das Unternehmen 2013, als ein Großbrand im Lager der damaligen Verlagsauslieferung ausgebrochen war und die Hälfte der Verlagsproduktion vernichtet hatte. „Wir hatten eine schwierige Situation zu überstehen, aber der Alltag ist weitergegangen“, so der Verleger. Aber solch eine existenzbedrohende Situation wie jetzt habe er noch nicht erlebt. „Im März haben wir ein Drittel der Rücklagen der vergangenen 15 Jahre aufgebraucht“, so Pliske. Der komplette Verlag mit seinen zehn Mitarbeitern sei in Kurzarbeit.

„Den Verlagen geht es nicht gut. Die, die Festangestellte haben, haben ihre Mitarbeiter in die Kurzarbeit geschickt“, sagt Nora Milenković-Göhring, Geschäftsführerin des Landesverbandes des Börsenvereins des deutschen Buchhandels und zuständig für Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen. Viele Neuerscheinungen für den Herbst könnten nicht produziert werden. Und die abgesagte Leipziger Buchmesse stecke den Verlagen in den Gliedern. Literaturhäuser bleiben geschlossen.

Die Messe-Absage hatte die ganze Branche im März in Schockstarre versetzt. Vor allem die kleinen Verlage haben sich vom Ausfall der für sie so wichtigen Publikumsmesse nicht erholen können. Allein der Mitteldeutsche Verlag, so erzählt Roman Pliske, habe fünf Monate für Leipzig gearbeitet, 40 Veranstaltungen organisiert. Leipzig sei immer Rückenwind gewesen bis weit in den Sommer hinein. „Heute wissen wir: Wir haben nur mit der Schrotflinte in den Himmel geschossen.“

Ob die Frankfurter Buchmesse stattfinden kann, ist unklar und angesichts der Menschenmassen kaum vorstellbar. Stimmen mehren sich, die eine frühe Absage der Oktober-Messe fordern. Kanada wäre Gastland des weltgrößten und international ausgerichteten Branchentreffs. Drei Belletristik-Titel aus Kanada will der Mitteldeutsche Verlag eigentlich in der Mainmetropole präsentieren. Ihr Herbstprogramm haben die Hallenser schon um ein Drittel gestrichen.

Milenković-Göhring sagt: „Noch gibt es keine Rückmeldung zu einer eventuellen Insolvenz, aber ich denke, dass die Situation sich ändern kann, wenn die Lage sich nicht ändert.“ Problematisch sei, dass geplante Veranstaltungen und Lesungen der Verlage nicht durchgeführt werden können. Die Stimmung sieht sie dennoch als „noch positiv“.

Roman Pliske ist bekannt für seinen Optimismus. Davon schwingt im Volksstimme-Gespräch trotz der Sorgen immer noch einiges mit. „Die Hoffnung habe ich nicht aufgegeben, dass wir den 75. feiern können“, sagt er. Das wäre im nächsten Frühjahr.