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Literatur Lügen der Kolonialgeschichte

In seinem Buch "Wir Herrenmenschen" räumt Bartholomäus Grill mit einigen Mythen der deutschen Kolonialgeschichte auf.

18.06.2019, 23:01

Berlin (dpa) l "Der Engländer war brutal, nicht wahr? Der Franzose – auch nicht ohne. Und der Portugiese erst! Vom Belgier gar nicht zu reden. Wir aber waren ganz anders, unsere Schwarzen mochten uns. Und sie kämpften gerne für unsere Sache." So polemisch zugespitzt beschreibt Bartholomäus Grill in seinem Buch "Wir Herrenmenschen" die Haltung der Deutschen zu ihrer kolonialen Vergangenheit. Wenn sie nicht gerade komplett in Vergessenheit geraten sei, werde sie mit Zuckerguss überzogen. Klar, die Kolonialgeschichte der Deutschen liegt mehr als 100 Jahre zurück und währte auch nur kurz.

"Deutschland hatte einfach zu wenig Zeit, um größeren Schaden anzurichten", ist eine verbreitete Meinung. Nach den Gräueln des Nationalsozialismus und Holocaust erschien die flüchtige Kolonialgeschichte im Rückblick geradezu als harmlose und ferne Episode. Doch das ist ein Trugschluss: Weder ist sie fern, noch war sie harmlos, wie der Afrika-Korrespondent des "Spiegel" in seinem Buch zeigt. Gerade in jüngster Zeit ist das Thema wieder sehr aktuell. Das beweisen die Entschädigungsforderungen der Herero in Namibia ebenso wie die Diskussionen um die Rückgabe kolonialen Raubguts in Zusammenhang mit dem neuen Humboldt Forum in Berlin.

Mit der Legende, dass die Deutschen die besseren Kolonialherren waren und es nur wenige beklagenswerte Ausreißer gab, räumt Grill gründlich auf. Sein Buch ist keine angenehme Lektüre. Es ist kritisch, anklagend, oft auch polemisch, konfrontiert uns mit unbequemen Wahrheiten. Fast alle früheren deutschen Kolonialgebiete hat der Journalist bereist – von Togo und Kamerun, Namibia und Tansania in Afrika bis nach Tsingtau in China und Neuguinea im Pazifik.

Grill begibt sich auf die Spuren von Kolonialbeamten und Soldaten, Forschern und Missionaren. An vielen Orten sind die Zeugnisse deutscher Vergangenheit vom Staub der Geschichte fast verweht, anderswo – besonders in Namibia, dem ehemaligen Deutsch-Südwestafrika - trifft er auf gut erhaltene wilhelminische Bauten und ein Deutschtum, das in Sprache und Alltagskultur stolz gepflegt wird. Es gibt auch kuriose Begegnungen wie die mit einem Gendarm in Douala (Kamerun), der sich voller Stolz als "Adolf, wie Adolf Hitler" vorstellt und dann noch hinzufügt, dass er die Rückkehr der Deutschen begrüßen würde.

Doch die Geschichte der Deutschen etwa in Tansania ist alles andere als ruhmvoll. Sie ist bestimmt von finsteren Figuren wie Carl Peters, einem "sadistischen Herrenmenschen", der für Kaiser und Vaterland ein riesiges Gebiet zusammenraubte und dort eine tyrannische Willkürherrschaft errichtete. Der berüchtigte Lothar von Trotha wiederum gerierte sich in Deutsch-Südwestafrika als "Vernichtungskrieger". Sein Name ist in Zusammenhang mit dem Massaker an den Herero in die Geschichte eingegangen, das Grill übrigens – im Gegensatz zu den meisten zeitgenössischen Historikern – nicht als Völkermord bezeichnen will. Der Kommandeur der Kaiserlichen Schutztruppe wütete in der Kolonie dermaßen brutal, dass er schließlich von der Regierung in Berlin abberufen wurde.

In Togo wiederum nahmen sich die Kolonialbeamten, fernab jeglicher Kontrolle, das Herrenrecht auf Vergewaltigungen und Exzesse heraus. Strafaktionen gegen ungebärdige "Eingeborene" gab es fast in allen Kolonien.

Insgesamt, so Grill, war das ganze deutsche Kolonialsystem auf Ausbeutung angelegt, von Menschen und Rohstoffen. Die gewaltsame Modernisierung zerstörte Traditionen und Bindungen – mit Folgen bis in die Gegenwart, wie sich an den willkürlich gezogenen Staatsgrenzen zeigt. Am beklagenswertesten findet es der Autor, dass Stereotype, rassistische Vorurteile und Überlegenheitsdünkel aus der Kolonialzeit keineswegs verschwunden sind. Das habe sich zuletzt vor allem wieder in der Flüchtlingskrise gezeigt. Afrika und seine Menschen würden nur als Gefahr, als Bedrohung gesehen. "Wir sehen die außereuropäische Welt nach wie vor mit dem imperialen Auge und behandeln ihre Bewohner nicht viel besser als in der Kolonialzeit", ist sein strenges Fazit.