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Literatur West-Journalist hinter der Mauer

Karl-Heinz Baum, früherer DDR-Korrespondent der "Frankfurter Rundschau" hat seine Erinnerungen niedergeschrieben.

18.04.2017, 23:01

Berlin (dpa) l „Journalist, stumm, taub, seh– und gehbehindert, für interessante Tätigkeit in einem Ostblockstaat gesucht.“ Mit dieser ironischen Stellenbeschreibung unter Journalisten war damals die DDR gemeint. Staatliche Versuche einer Behinderung oder Beeinflussung freier Berichterstattung der Medien sind jedoch zeitlos, wie die Gegenwart zeigt. Wie ein solcher „Nahkampf“ zwischen akkreditierten Journalisten und Staatsmacht im „ersten deutschen Arbeiter-und-Bauern-Staat“ DDR aussah, schildert der frühere Korrespondent der „Frankfurter Rundschau“ in der DDR, Karl-Heinz Baum, in seinen Erinnerungen („Kein Kinderspiel – DDR-Reportagen eines Westjournalisten“, Ch. Links Verlag).

Es sind Berichte über einen Journalistenalltag in „Absurdistan“ voller Hindernisse und Fallstricke. Aber „damit die Westdeutschen nicht vergessen, dass hier auch Deutsche leben, arbeite ich hier“, sagte Baum einmal einem Mitarbeiter der britischen Botschaft in der DDR auf dessen Frage, warum er sich das alles antut.

Der Journalist habe damit auch an einem „Stück vorweggenommener Einheit“ gearbeitet, bescheinigt ihm Thomas Krüger als Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung und früherer Bürgerrechtler in der DDR in einem Nachwort. Dabei habe er sich in der DDR „kein X für ein U vormachen“ lassen und auch nie die journalistische Distanz des Beobachters verloren.

Baum musste dabei die Spielräume als Journalist in einem repressiven Staat ausbalancieren. Es erforderte oft genug auch Mut, List, Tricks und Chuzpe aus einem Staat zu berichten, in dem fast alles als Geheimsache betrachtet wurde und offene und freie Interviews mit dem „Mann auf der Straße“ grundsätzlich nur mit staatlicher Erlaubnis möglich waren. Baums ungewöhnliche Reportagen rufen nicht nur Alltagsereignisse in der DDR und auch die dramatischen Ereignisse des Wendeherbstes 1989 in Erinnerung, sondern bringen schon damals erstaunlich hellsichtig in wenigen markanten Sätzen historisch gewordene Geschichtsmomente auf den Punkt.

Die Texte rufen auch teils längst vergessene Fakten vor Augen. Etwa, dass es auch in der DDR Hausbesetzer (Wohnraumbesetzer) und Asylantenströme gab, die von den DDR-Behörden über den Flughafen Schönefeld nach West-Berlin weitergeschickt wurden – bis zum S-Bahnhof Friedrichstraße in Ost-Berlin.

Im Falle der Wohnraumbesetzer hatte das „Schwarz-Wohnen“, wie es in der DDR genannt wurde, in den 80er Jahren so zugenommen, dass die SED mit einem zeitweisen Beschluss reagierte, wonach jeder das Recht erhielt, in eine Wohnung einzuziehen, die als leer gemeldet war und nachgewiesenermaßen mehr als ein Vierteljahr leer stand. Dabei handelte es sich allerdings meist um sogenannte Bruchbuden ohne Warmwasser und Innentoilette, die dennoch bei jungen Leuten, auch Künstler und Studenten, sehr begehrt waren.

In zahlreichen Städten wie Leipzig, Halle, Magdeburg, Karl-Marx-Stadt und Ost-Berlin gab es meist baufällige Hinterhäuser oder Seitenflügel, die von Parterre bis zum fünften Stock von meist jungen „Besetzern“ in Beschlag genommen wurden.

Besonders schlimm stand es auch um die Bausubstanz der Görlitzer Altstadt. Baum machte sich auch davon selbst ein Bild. In einem Straßenzug kam ihm „das kalte Grausen“, wie er damals (1988) schrieb. „Die meisten Häuser sind nicht mehr bewohnt, die Türen verrammelt. In einem Haus ist vor Jahren schon die Decke eingestürzt, ein Baum wächst heraus, die Wurzeln haben dort Halt gefunden.“ Baum widerspricht zudem der weitverbreiteten These, die Maueröffnung im November 1989 sei „aus Versehen“ geschehen. Er verweist auf Äußerungen des Regierenden Bürgermeisters Walter Momper (SPD). Der damalige ostdeutsche evangelische Konsistorialpräsident Manfred Stolpe habe nach dem Sturz von SED-Chef Erich Honecker ein Gespräch zwischen Momper und dem damaligen SED-Politbüromitglied Günter Schabowski arrangiert, das bereits am 29. Oktober 1989 stattfand, wie Baum schreibt. „Momper erfährt aus berufenem Mund, was auf West-Berlin zukommt – und verhängt für alle Mitarbeiter eine Urlaubssperre. Elf Tage später fällt die Mauer.“

Karl-Heinz Baum: Kein Indianerspiel. DDR-Reportagen eines Westjournalisten, Ch. Links Verlag, Berlin, 240 Seiten, 15 Euro