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Kinderbücher von 1914 - Leben in den Schlachten der Großen

16.04.2014, 09:20

Frankfurt - Grausige Gesichter, Leid im Lazarett, Stricken für Soldaten: das war der Alltag für Kinder im Ersten Weltkrieg.

Die Kinderbücher von damals erzählen die Geschichten dazu, sie verherrlichen den Krieg oder zeigen drastisch seine Realität. "Ganz grausam", sagt Hans-Heino Ewers vom Institut für Kinder- und Jugendbuchforschung an der Goethe Universität in Frankfurt. Dort sind die historischen Dokumente vom 22. April an in einer kleinen, beeindruckenden Ausstellung zu sehen.

"Die Propaganda ist wahnsinnig grobschlächtig in diesen Büchern", sagt Ewers. Krieg und Nationalismus, für Kinder vereinfacht. Auf den vergilbten Seiten in den Vitrinen prangen kräftige Bilder und Worte. Die Welt der Kinder, das waren die Schlachten der Großen. Ewers deutet auf die Verse in einem Buch mit schwarzen Scherenschnitten: "Der Russenlaus erklärten wir den Krieg. Der Kampf war hart, uns blieb der Sieg. Kommen noch Überläufer bei Nacht, die werden im Nahkampf unschädlich gemacht", liest man dort. Die rassistische Darstellung der Feinde, sagt Ewers, sei ein verheerendes Kapitel dieser Zeit. Er will diese Texte aufarbeiten: "Die Frage ist, wer es nötig hat, so etwas zu schreiben."

Die Zeichnungen in den Bilderbüchern sind dem heutigen Betrachter fremd. Nicht nur, weil die Farben, Kleider und Formen aus einer anderen Zeit stammen. Sondern auch, weil so viele Soldaten zu sehen sind. "Es ist oft eine Mischung aus Niedlichkeit und Kriegsverherrlichung", sagt Maria Linsmann, die Leiterin des Bilderbuchmuseums im nordrhein-westfälischen Troisdorf. Dort wird am 3. August die Ausstellung "Der Erste Weltkrieg im Kinderbuch" aus der Berliner Staatsbibliothek eröffnet.

Zu Kriegsbeginn schreiten oder reiten die Soldaten noch heroisch und stolz über die Seiten. Es sind zunächst die Infanteristen und Reiter des 19. Jahrhunderts. Wer 1914 Bilderbücher macht, ist nicht an der Front des industriellen Kriegs. "Das Hurra hat sich verkauft", sagt Ewers. In den verherrlichenden Büchern sterben die Deutschen nicht. Da ist stattdessen "klein Willi, der tapfere Streiter", pausbäckig - und stark. Dabei leiden die meisten Kinder bald unter Hunger und Krankheiten, sagt die Paderborner Historikerin Barbara Stambolis. Sie wird in der von Ewers konzipierten öffentlichen Vorlesungsreihe zur Ausstellung über Kindheit im Ersten Weltkrieg sprechen.

Als die Realität des Krieges durch Feldpost und Kriegsurlaub in die Familien kommt, passt sich die Literatur schnell an. "Der moderne Krieg räumte schnell auf mit dem Heroischen", sagt Ewers. Kinder erkennen die entstellten Gesichter der Väter nicht mehr, gehen zum Trost für die Soldaten in die Lazarette, stricken für die Front. Der Text dazu: "Hoppe, hoppe Reiter, fällt er auch - nie schreit er, will ja nach dem Schützengraben, mit viel kleinen Liebesgaben."

Auch heute noch werden Kinder eingesetzt, um Kriegshandlungen zu unterstützen, sagt Ewers. "Das ist mitnichten weg." Auch deshalb hält er es für wichtig, die Bücher von damals zu kennen. Die sieben Vitrinen voll solcher Dokumente liegen etwas versteckt in den Gängen des seit 50 Jahren bestehenden Instituts, dessen Sammlung Ewers zufolge rund 200 000 Kinderbücher und 60 000 Comics umfasst.

Die Universitätsleitung habe sich nicht um mehr Fläche für die Ausstellung bemüht, sagt Ewers. "Wir haben leider keine Gelder bekommen. Wir haben aber die Aufgabe, kulturelle Traditionen wach zu halten." Die Kinder- und Jugendbücher aus der Zeit der sogenannten Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts erzählen vom damaligen Leben und Denken. "Kindern heute bieten diese Bücher einen viel direkteren Zugang zum Ersten Weltkrieg als das Reden darüber", sagt Linsmann.

Die Bücher lassen erahnen, wie der Krieg auch die Nachfahren geprägt hat. Die Grausamkeit in den Büchern hat die Menschen an der Heimatfront mobilisiert, wie Ewers erklärt, die Bücher wirkten als Durchhaltepropaganda. "Tapfer sein, nicht weinen", so beschreibt Historikerin Stambolis die Werte. "Darin erkennen sich jene wieder, die im Zweiten Weltkrieg jung waren." Ihre Frankfurter Fachkollegin Silke Fehlemann geht noch weiter: "Ein sehr großer Prozentsatz der Führungsriege der Hitlerjugend waren Personen, die im Ersten Weltkrieg kleine Kinder waren."