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Neuer Auster-Roman Vierfacher „American Way of Life“

Was kann aus einem Leben werden, und was entscheidet darüber? Paul Auster versucht sich in seinem neuen Roman an einer Antwort.

31.01.2017, 23:01

Berlin (dpa) l Ein Leben steht im Mittelpunkt von Paul Austers neuem Roman „4 3 2 1“. Archie Ferguson heißt der Junge, dessen Kindheit und Jugend Auster, einer der renommiertesten amerikanischen Schriftsteller der Gegenwart, literarisch aufarbeitet. Wie ein klassischer Bildungsroman beginnt „4 3 2 1“ mit der Einwanderung von Archies Großvater in die USA, erzählt ausführlich vom Kennenlernen und der Hochzeit seiner Eltern und schließlich von seiner Geburt im März 1947.

Dieses Datum mag nicht ganz zufällig gewählt sein. Immerhin wurde Auster selbst nur einen Monat vor diesem Datum geboren, und in der Woche, in der der Roman weltweit erscheint, feiert er seinen 70. Geburtstag. Da liegt natürlich der Verdacht nahe, dass Auster seine Figur zur Darstellung seiner selbst entworfen habe.

Aber so einfach ist es natürlich nicht, „4 3 2 1“ ist keine verkappte Autobiografie Paul Austers, aber die Umstände der Handlung geben dem Autor die Gelegenheit, das Leben einer jüdischen Familie in den 40er und 50er Jahren in einer Kleinstadt bei New York darzustellen. Und diese Chance nutzt er in aller Ausführlichkeit.

Immer wieder streut Auster Passagen ein, die die Handlung nicht weiterbringen, statt dessen aber ein umfassendes Bild vom Leben der Familie und dem Lebensgefühl der 50er Jahre vermitteln. Auster häuft viele Details an, schreibt manchmal sogar Listen, die die Erzählung mit ihren Fakten untermauern.

„4 3 2 1“ folgt dem Leben des jungen Archie sehr detailliert durch Kindheit und Jugend. Aber der Roman bietet mehr als eine Geschichte vom Erwachsenwerden. Als der sechsjährige Archie vom Baum fällt und mit gebrochenem Bein in seinem Zimmer liegt, kommt ihm ein Gedanke: „Wären seine Eltern auf der Suche nach dem richtigen Haus in irgendeine andere Stadt gezogen, hätte der Baum nicht dort im Garten gestanden. Was für ein interessanter Gedanke, dachte Ferguson, sich vorzustellen, wie für ihn alles anders sein könnte, auch wenn er selbst immer derselbe bliebe.“

Dieser Leitgedanke des „Was wäre, wenn“ entpuppt sich als Grundkonzept des Romans. „4 3 2 1“ präsentiert nicht einen, sondern gleich vier Archie Fergusons. Genauer gesagt, vier Variationen desselben Archie. Viermal beginnt er seinen Lebensweg. Jedes Mal bringt er dieselben Voraussetzungen mit, und jedes Mal verläuft sein Leben anders. Der Roman verfolgt die Lebenswege der einzelnen Archies abwechselnd in chronologischer Reihenfolge. Erst durchlebt der erste Archie eine Phase, dann der zweite, der dritte und schließlich der vierte. Dann geht es mit dem ersten weiter, dann mit dem zweiten, und so fort, bis die Archies zu jungen Männern geworden sind.

Jeder Archie nimmt eine andere Entwicklung, denn auch bei gleichen Voraussetzungen am Start sind doch viele Einzelheiten des Lebens so unterschiedlich, dass nichts wirklich vorhersagbar wird. Allerdings sind die Entwicklungen der einzelnen Versionen des Jungen nicht grundsätzlich verschieden voneinander. So erfordert es viel Konzentration, um die einzelnen Erzählstränge auseinanderzuhalten, gerade bei einem Roman von der enormen Länge von mehr als 1200 Seiten.

Bis zu einem gewissen Punkt ist „4 3 2 1“ sicherlich von Paul Austers persönlichen Erfahrungen geprägt. Das ist für den Schriftsteller nichts Ungewöhnliches. In einem Interview, das er vor einigen Jahren der Literaturzeitschrift „Paris Review“ gab, sprach er über den Einfluss seines Lebens auf sein Schreiben: „Mir sind in meinem Leben so viele merkwürdige Dinge passiert, dass ich nur Beweise über das sammeln kann, was sich tut, und diese so aufrichtig wie möglich aufschreiben.“ Seine Aufgabe sieht er darin, „die Dinge so darzustellen, wie sie wirklich geschehen, und nicht so, wie sie passieren sollten oder wie sie uns gefallen würden“.

„4 3 2 1“ ist sicherlich kein leichter Roman, weder vom Gewicht noch vom Inhalt her. Damit passt er in das Romanwerk Paul Austers, der seit den 80er Jahren mit Werken wie der „New York Trilogie“, „Leviathan“, „Unsichtbar“ und „Sunset Park“ zu einem der bedeutendsten amerikanischen Schriftsteller geworden ist und schon mehrmals als Kandidat für den Literaturnobelpreis genannt wurde.