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Digitalisierung Museen laden zu virtuellen Rundgängen

Auf dem Sofa sitzend durchs Museum schlendern. Eine Anleitung zu einer kleinen Weltreise, die jederzeit verlängert werden kann.

Von Uta Baier 22.03.2020, 23:01

Halle l Erst waren es nur Veranstaltungen und Führungen, die abgesagt wurden. Fast hoffnungsfroh verkündeten die deutschen Museen: „Die Ausstellung bleibt geöffnet“. Das war am vergangenen Donnerstag. Am Freitag dann war Schluss mit der Hoffnung. Alle Museen erklärten nach und nach ihre Schließung. Am Montag war klar, dass dieser Zustand wohl einige Zeit anhalten wird.

Deshalb ist es Zeit für einen Museumsbesuch – ganz gemütlich vom Bett oder auch vom Sofa aus, wahlweise im Schlafanzug oder nicht. Denn das digitale Angebot der Museen ist riesig. Natürlich gibt es viele lange Texte, langweilige Bilder, kryptische Vorträge, schlecht gemachte Filmchen. Oder auch pure Text- und Bildinformationen. Die sind meist ausreichend, doch für den Sofa-Museumsbesuch im Ausnahmezustand sind sie nicht genug. Daher hier einige Verweise auf besonders schöne, kluge, intelligente und informative Internetauftritte großer und kleinerer Museen weltweit – natürlich ohne jeden Anspruch auf Vollständigkeit.

Das Van Gogh Museum in Amsterdam zum Beispiel hält seit langem Informationen über Leben und Werk des Künstlers auf seiner Internetseite bereit. In kurzen Sätzen werden Malweise, Materialien, Biografie, Techniken und wichtige Personen auf den Bildern und im Leben des Künstlers erklärt. Dabei geht es um Sonnenblumen, gelbe Häuser, beste Freunde, Familienverhältnisse. Und darum, was van Goghs Selbstporträts mit Kirk Douglas zu tun haben.

Auch die Waffe, mit der sich Vincent van Gogh erschoss, wird gezeigt. Beim Bild bleibt es nicht – das Museum erzählt auch, wer sie wann und wo fand. Je tiefer der virtuelle Besucher in die Bildergeschichten einsteigt, desto exklusiver werden die Informationen. Am Ende hat er vom Sofa aus intime Briefe gelesen, hat Farben und Kompositionen bewundert und kennt Vincent van Goghs Totenschein.

Nicht jedes Museum hat einen so gut erforschten Künstler. Aber viele Museen haben Geschichten über ihre Sammlungen zu erzählen. Zum Beispiel die Wallace Collection in London. Die erforscht die Möbel von Johann Heinrich Riesener aus Gladbeck in Westfalen, der dort 1734 geboren wurde. Den kennt niemand unter diesem Namen, denn er wurde als Jean Henri Riesener in Paris bekannt. Dort baute er kunstvolle Möbel, die besonders Ludwig XVI. und Marie Antoinette liebten und bei ihm bestellten.

Viel ist über Rieseners Leben bisher nicht bekannt, aber seine Möbel sind in einem großen Forschungsprojekt untersucht und restauriert worden. Selbst wem der Prunk des Rokoko zu viel ist, wer mehr die klare Linie des Bauhauses liebt, wird fasziniert sein von den hunderten Teilen, in die eine 3D-Animation ein Riesener-Möbel zerlegt und wieder zusammensetzt.

Das ist faszinierend, denn so nah an ein Möbelstück dieser Bedeutung, so tief hinein in jede Schublade kommt normalerweise nur der Besitzer, hinter die Schmuckelemente und unter das Furnier höchstens der Restaurator. Der erklärt in einem weiteren Film Arbeitsschritte und Materialien einer Riesener-Möbel-Restaurierung.

Bauhausmöbel gibt es momentan nur im Onlinehandel, Bauhausgebäude weiterhin in der Realität. Zu denen und in sie hinein führt die App „Bauhaus Dessau“. Begleitet vom Bauhaus-Sound, einer Komposition von David Kamp, öffnen sich auch Räume im Dessauer Bauhausgebäude, die sonst nur mit einer angemeldeten Führung zu sehen sind: das Direktorenzimmer von Walter Gropius, die Mensa oder die Dachterrasse des Ateliergebäudes.

Regelmäßige Museumsbesucher kennen das Bauhaus nach dem vergangenen Jubiläumsjahr vielleicht zu gut, um sich zu einem weiteren virtuellen Spaziergang aufzumachen. Dann ist ein Ausflug in die Außenstelle des Metropolitanmuseums in New York vielleicht eine willkommene Abwechslung. Dort gibt es ein sehr besonderes Museum zu entdecken: „The Cloisters“ in Manhattan zeigt die Sammlung des Künstlers, Sammlers und Kunsthändlers George Grey Barnard (1863-1938). Barnard kaufte kurz vor und kurz nach 1900 in Europa ganze Kreuzgänge und zerfallene Klöster, ließ sie abbauen, nach Amerika verschiffen und dort als Ausstellungsstücke wieder aufbauen. Unter den Exponaten ist auch ein Christustorso, der einem französischen Bauern als Vogelscheuche auf dem Feld diente. Dieses Museum ist sogar mit geschlossenen Augen zu entdecken – per Audioguide.

Für die derzeit 1488 Videos auf der Internetseite des gesamten Metropolitan-Museums über seine Ausstellungen, Forschungen und Spezialitäten wird der Sofabesucher einige Erkundungstage brauchen.

Für Informationen über 23 ausgewählte Kunstwerke aus den Pinakotheken in München braucht er hingegen genau 23 Minuten. Eine Minute pro Werk ist zwar zu kurz für ausführliche Informationen, doch lang genug, um die Neugier auf genau diese Kunstwerke und einen späteren Museumsbesuch zu wecken.

Neugierig macht auch die Ankündigung des Direktors des Kunstmuseums Moritzburg in Halle, Thomas Bauer-Friedrich, die gerade eröffnete und sofort wieder geschlossene Ausstellung mit den Fotos von Karl Lagerfeld in kleinen Videos vorzustellen und exklusive Einblicke zu gewähren. Da dieses Angebot ganz neu ist und die Filme erst in diesen Tagen nach und nach entstehen, lohnt sich ein wiederholter Besuch der Internetseite: www.kunstmuseum-moritzburg.de oder: #closedbutopen

Einen immer wiederkehrenden Besucher wünscht sich auch die Peggy Guggenheim Collection in Venedig, die bereits am 8. März schließen musste. Sie versorgt ihre Internet-Nutzer nun nicht nur mit Informationen sondern unterhält ihre Follower mit einem Kunst-Quiz, um die „Aufmerksamkeit wach zu halten“.

Und genau um dieses Wachhalten der Aufmerksamkeit geht es. Denn am Ende gilt: Ins Museum geht der Besucher, um die Originale zu sehen. Im Internet sucht er die unterhaltsame Kunst-Information. Findet er die nicht, findet er den Weg ins Museum später schwerer. Oder gar nicht.