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Domfestspiele Ein Unterhalter mit Haltung

Liedermacher und Lyriker Wolf Biermann hat am Mittwochabend die 9. Magdeburger Domfestspiele eröffnet.

Von Grit Warnat 18.05.2017, 18:15

Magdeburg l Zum 80. Geburtstag im vergangenen November hatte sich der streitbare Wolf Biermann, Poet, Songschreiber, DDR-Dissident, mit einer Biografie beschenkt. Auf mehr als 500 Seiten erzählt er sein Leben voller Hoffnungen und Enttäuschungen. Doch Biermann ist nicht nur ein schreibender Wortkünstler. Er ist auch ein äußerst wortgewandter Erzähler. Ironisch. Bissig. Ein Unterhalter mit Haltung.

Hemdsärmelig sitzt er neben Moderator Andreas Öhler. Der „Zeit“-Journalist im Anzug und roter Krawatte, Biermann im karierten Hemd und Lederjacke. Man duzt sich. Doch eigentlich braucht Biermann keinen Moderator. Er weiß selbst am besten von sich zu erzählen und redet sich im gut besuchten Dom in Laune.

Mit von Schauspieler Jürgen Zartmann gelesenen Szenen aus seinem Buch ist der Abend ein Schnelldurchlauf durch 80 Biermann‘sche Jahre, die zugleich auch eine Reise durch junge deutsche Geschichte sind: Vater, in Auschwitz von den Nazis ermordet, Bombennächte in Hamburg, Schule, Studium – fast wäre er bei den Wirtschaftswissenschaftlern in Magdeburg gelandet – Übersiedlung in den Osten, Brecht-Theater, Liedermacher-Anfänge, Bespitzelung durch die Stasi, Auftrittsverbot, Ausbürgerung, Freunde, Fremde – und immer wieder seine Gedichte. Schon sein erstes sorgte für einen Eklat. Biermann erzählt von diesem Moment, wie er 1962 auf die Bühne ging in der Ost-Berliner Akademie der Künste und seine Zeilen „An die alten Genossen“ vortrug. Ein historisches Tonband wird eingespielt. „Setzt Eurem Werk ein gutes Ende/ Indem Ihr uns/Den neuen Anfang lasst“. Biermann hat die Hände in den Taschen, schaut in sich ruhend Richtung Decke des hohen Kirchenschiffes. Dann sagt er: „Meine Gedichte wurden viel illusionsärmer.“

Später dann singt er seine Billanzballade „Im 30sten Jahr“. Sie erklingt auch als Tonaufnahme. Er war damals 30 geworden. Sein musikalischer Begleiter war eine Keksdose. Er erzählt den ihm zuhörenden „gelernten Ost-Menschen“ die Geschichte dazu. Wer die DDR kennt, weiß um den Einfallsreichtum durch Mangelwirtschaft. Biermann jedoch durfte in kein Studio. Er hatte Totalverbot.

Es ist ein Abend voller Ausflüge zu Helene Weigel, Margot Honecker – bis hin zu Angela Merkel. Zum Schluss ist Biermann ganz im Hier und Jetzt.

„Viel Freunde gingen an Schlägen zugrund/Die sie leider nicht ausgeteilt haben“. Zeilen aus seiner „Bilanzballade im 80sten Jahr“. Er hält sie nicht durch, kommt immer wieder ins Plaudern, blickt schon Richtung September. Bundestagswahl. Er hält ein Plädoyer aufs Zur-Wahl-Gehen und erntet viel Beifall.

Zum 70. Geburtstag hatte der damalige Bundespräsident Horst Köhler dem Liedermacher das Bundesverdienstkreuzes verliehen. Köhler nannte ihn einen „politischen Entertainer mit Mut zu starken Meinungen und heftigen Irrtümern“. Der Abend zeigt: Das ist Biermann auch zehn Jahre später.