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Domschatz In Halberstadt wird an Künstler erinnert

In der Ausstellung "Linien" im Halberstädter Domschatz, werden Arbeiten des Eislebers Martin Leonhardt zum 30. Todestag gezeigt.

Von Grit Warnat 14.11.2017, 00:01

Halberstadt l Im Gewändersaal des Domschatzes, die wertvollen mittelalterlichen Ornate sind zum Schutz nur schwach erhellt vom künstlichen Licht, stehen zwei Vitrinen. Bilder mit Mänteln sind dort zu sehen, menschenlos, nur Hüllen, sowie schlanke Figuren, die sofort an die Kunst des Schweizer Bildhauers Alberto Giacometti erinnern. Es sind Arbeiten aus dem Nachlass von Martin Leonhardt, den seine damalige Frau Irene nach wie vor hütet und – wie jetzt zu ihrer Freude – der Öffentlichkeit präsentieren kann.

Kunsthistorikerin Claudia Wyludda von der Domschatzverwaltung hat sich sehr bewusst für drei der Leonard’schen Mantelhüllenbilder entschieden – für sie sehr passend als Gegenüber, als Ergänzung zu den mittelalterlichen Gewändern im Raume. Sie stehen für seine künstlerische Arbeit – immer wieder trifft man bei Leonhardt auf Mäntel ohne Leib darin. Sie erzählen vom Seelenleben, von innerer Zerrissenheit, vom nahenden Tod.

Der kam plötzlich. Martin Leonhardt starb am 1. Dezember 1987, nur einen Tag vor seinem 38. Geburtstag. Geahnt hat Irene Leonhardt das damals nicht, erzählt sie. Leber- und Nierenversagen. „Es war eine Folge seiner Arbeit im Chemischen Kombinat Bitterfeld“, sagt die Witwe. Ärzte hätten ihr das bestätigt.

Was blieb, sind ihre Erinnerungen an einen Mann, der sich neben seinem Job als Instandhaltungsmechaniker stets und ständig mit Kunst beschäftigte – zwischen Öl und Aquarell, Grafik und Metall. „Es drängte ihn, sich optisch auszudrücken“, sagt die Witwe. Für einen Studienplatz im künstlerischen Bereich habe er sich nie beworben. „Er hätte keine Chance bekommen“, ist sich Irene Leonhardt, Pfarrerin i.R. mit Stasi-Akte, sicher. Zu viele Steine wurden damals schon in den Weg gelegt.

Martin Leonhardt drückte mit verschiedenen gestalterischen Mitteln sein Seelenleben aus. Er überlässt das Interpretieren dem Betrachter, selbst einen Titel gibt er niemals vor. Er habe auch keine Aussagen gemacht, sagt die Witwe. Sie selbst erschließt die oft verwendeten Symbole und Metaphern mit ihrem Wissen um Kunstgeschichte.

Immer wieder hat sich der Maler selbst dargestellt, mal mit Jeans und Turnschuhen, die er immer trug, und mit dem Kopf eines Raubvogels, der alles sieht und beobachtet. Mal wie ein Ausgestoßener in Winterlandschaft mit Biedermeiertisch, der heute immer noch im Wohnzimmer von Irene Leonhardt steht. Dieses Selbstbildnis ist eingebettet in eine Abbruchmauer. Nicht nur in dieser Arbeit greift Leonhardt Marodes auf, Brüchiges in der DDR-Welt, zerstörte Landschaft. Und auf dem Tisch eine Weinflasche – die so oft zu finden ist in seinen Arbeiten. Eine Anspielung, dass im Wein ja bekanntlich die Wahrheit steckt?

Auch der Witwe bleibt manches unerschlossen. Nur sicher ist sie sich in der Deutung bei einigen der Mantelhüllenbilder. Eine Mantelhülle mit Koffer. Da wartet das Leere an Treppen wie ein Reisender am Bahnhof. Die Arbeit entstand im Jahr vor seinem Tod. „Die Menschen ahnen, wenn der Tod auf sie zukommt“, sagt die Wernigeröderin, die aktiv in der Hospizarbeit tätig ist. So erklärt sie auch das hier abgebildete Werk: Eine Mantelhülle wie einst der Wintermantel des Malers, Schal wie einst dessen roter Schal, dazu der Schmetterling als Symbol der Verwandlung. „Er fliegt dem Licht entgegen. Ein Christ könnte hier an Auferstehung denken“, erklärt sie das Bild. Und aus dem Mantel geht die Seele.

Seine allerletzte Arbeit, unvollendet geblieben, hängt mit Ölbildern und Grafiken in der Halberstädter Superintendentur am Domplatz 50. „Abschiedliches“ ist die kleine Schau überschrieben und eine Ergänzung zu den „Linien“ im mittelalterlichen Domschatz.

Bis zum 14. Januar 2018 sind Leonhards Arbeiten ausgestellt. Geöffnet ist der Domschatz dienstags bis sonnabends von 10 bis 16 Uhr, sonn- und feiertags von 11 bis 16 Uhr. „Abschiedliches“ ist zu den Öffnungszeiten der Superintendentur zu sehen.