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Gedenkstätte Wachturm, Tunnel, Passkontrolle

Am 13. August 1996 wurde der einstige DDR-Grenzübergang Marienborn zur Gedenkstätte. Eine Fotoausstellung gibt aktuelle Perspektiven.

Von Grit Warnat 13.08.2016, 01:01

Marienborn l Nikolaus Becker schaut aus dem Fenster des Besucherzentrums. Schon wieder entdeckt er Motive. Doch seine Fotos für die Ausstellung „Berlin–Transit-Marienborn“ sind längst im „Kasten“. 3000 Fotografien waren entstanden, nur etwas mehr als 20 hat er aussuchen müssen für die heute beginnende Ausstellung. Was zu sehen ist, sind ganz persönliche Beckersche Sichten auf die einstige Transitstrecke zwischen zwei Gesellschaftssystemen.

Seine Fotoblicke streifen ließ er in Dreilinden, wo die große Uhr an der Einfahrtschneise nach Berlin zeigerlos ist, an den Raststätten Michendorf und Börde, die mit ihren Mehrzweckbauten-Eingangsbereichen bis hin zum Papierkorb komplett identisch sind, und natürlich in Marienborn, der einstigen großen Ost-West-Schnittstelle.

Wenn der Fotograf auf der A 2 Richtung Westen unterwegs war, ging es vorbei an der Gedenkstätte. Für den Fotoauftrag hat er sich erstmals intensiv mit diesem Kontrollpunkt, seinen Sperr- und Überwachungsanlagen beschäftigt. Wachturm. Schreibraum. Barriere für Grenzdurchbrecher. Röntgenbrücke. Spiegel unterm gewellten Dach. Unterirdisches Tunnelsystem. Becker spricht vom Gruselfaktor. Allein die Größe der einstigen Grenzübergangsstelle, die zeitweise bis zu 1000 Bedienstete hatte, habe ihn erschaudern lassen. Das sei kein Vergleich zum kleinen Checkpoint Charlie in Berlin, sagt er. Seine Fotografien sind in der Farbe reduziert. Der Hydrant ist nicht knallrot, der Himmel nicht himmelblau. Becker hat sich angesichts des historischen Hintergrundes für dieses historisierende Arbeiten entschieden, sozusagen als Brücke zwischen einst und jetzt. Menschen sucht man vergebens auf seinen Fotografien. Er wollte diese Leere. „Ich möchte das Verlassene zeigen“, sagt er.

Ausstellungen von Nikolaus Becker sind rar. Dabei gehören zum Archiv des überzeugten Berliners, wie er sich nennt, Zehntausende Fotos. Einige Arbeiten seiner umfangreichen Sammlung bis hin zu Demonstrationen und Maueröffnung hat er anlässlich 25 Jahre Wiedervereinigung in Washington gezeigt. Jetzt liegen sie wieder in seinem Archiv. Es sei wie mit einem guten Wein, sagt Becker. Auch der brauche Zeit, um ihn zu öffnen.

Becker wollte immer fotografieren, ein Studium in dieser Richtung blieb ihm verwehrt, die Aufnahmeprüfung in Leipzig klappte nicht, man mochte seinen Vater nicht. Das war der bekannte Schriftsteller Jurek Becker („Jakob der Lügner“), der sich gegen die Ausbürgerung von Wolf Biermann stellte und 1977 mit einem DDR-Visum in den Westen gezogen war.

Sohn Nikolaus machte bei der Defa eine Fotografenausbildung und arbeitete als Industriefotograf beim VEB Wärmeanlagenbau. Doch immer wieder hielt er den DDR-Alltag fest – fern von Pionierlächeln und nelkenschwenkenden Maidemonstrierern. Für ein Buch, das nicht gedruckt werden durfte, lichtete er Punks ab. Auch da gab es mal wieder Stress, wie er es nennt. Er sei mehrmals verhaftet worden, aber ihm sei nie etwas passiert, sagt er. Wohl auch, weil der Berliner ein dicht gestricktes Netzwerk hatte. Da habe man nicht einfach so verschwinden können.

Becker erzählt wie nebenbei von einem engen Vertrauten, der ihm bei brenzligen Fotoaktionen zu DDR-Zeiten hilfreich zur Seite stand. Wie sich zeigte, arbeitete auch der für die Stasi.

Da passt seine jetzt entstandene Arbeit, die Grün vor verwitternden Bauten des Grenzregimes zeigt. Die Natur kommt zurück, die Jahre vergehen. Umso wichtiger, dass diese Grenzübergangsstelle ein Ort des Erinnerns bleibt.

 

Die Ausstellung ist bis zum 9. November zu sehen.