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Harold und Maude Premiere mit schwierigen Fragen

„Harold und Maude“ feierte im Theater an der Angel in Magdeburg Premiere - Gefangen in moralischen Käfigen. Also ganz „normal“?

Von Rolf-Dietmar Schmidt 28.09.2018, 23:01

Magdeburg l Das Magdeburger Theater an der Angel trug sich schon lange mit dem Gedanken, dieses Stück aufzuführen, das Anfang der 70er Jahre geschrieben wurde. Doch der Kultfilm mit dem gleichen Titel hat hohe Hürden gesetzt, zählt zum Besten der Filmgeschichte. Kann man das ohne wesentliche Abstriche auf die kleine Bühne in der alten Villa an der Elbe bringen?

Die „Angler“ vom Werder haben es gewagt, und es ist ein voller Erfolg geworden. Und nicht nur das: Die notwendige Beschränkung der Ausdrucksmittel hat dem Stück sogar zu einer psychologisch-philosophischen Dichte verholfen, wie sie in einem Kinofilm gar nicht möglich ist.

Harold ist 19 und fühlt sich in seiner spießigen Kleinbürgerwelt mit seiner alleinerziehenden Mutter unverstanden und unwohl. Nur einmal, als nach einer von ihm verursachten Explosion eines Experimentierraums in seiner Schule die Polizei irrtümlich seiner Mutter die Nachricht von seinem Tod überbringt, was er heimlich beobachtet, zeigt diese tatsächlich menschliche Reaktionen. Von nun an gehört der Tod, die Selbsttötung, für ihn zum Repertoire, um Aufmerksamkeit zu erlangen. Doch nach 17 Versuchen ist auch dieses Mittel ohne Wirkung.

Jan Schneider hat diese Rolle übernommen, und er ist wohl die schauspielerische Entdeckung des Abends. Er versteht es mit Zurückhaltung, ohne die ganz großen Gesten, enorme Wirkung zu erzielen. Aus dem Berner Oberland hat es ihn erst nach Berlin zur Schauspielschule verschlagen, dann nach Bautzen ins Puppentheater. Jetzt, in der Magdeburger Börde angekommen, ist es aber wieder das Schauspiel, das ihn in den Bann schlägt.

Mit der 79-jährigen Maud, hervorragend von Ines Lacroix gespielt, entsteht nach einem zufälligen Bekanntwerden auf dem Friedhof ganz allmählich eine Beziehung zwischen beiden, die bewundernswert authentisch ist. Die Maud hat ein Leben voller Höhen und Tiefen hinter sich. Sie ist ganz bei sich selbst, liebt das Leben, das sie in vollen Zügen genießt.

Nicht die scheinbar unentbehrlichen Dinge sind ihr wichtig, sondern das Gefühl der Selbstbestimmtheit, der Freiheit des Geistes und des Gefühls. Es gelingt vor allem im zweiten Teil des Stücks Ines Lacroix, diese Entwicklung zwischen den beiden, die sich von gegenseitiger Faszination schließlich zu einer tiefen Liebesbeziehung wandelt, überzeugend darzustellen.

Welch ein Skandal für die gutbürgerliche Gesellschaft! Doch das ficht die beiden nicht an. Sie werden zu den zentralen Figuren des Stücks, pfeifen auf alle Konventionen und vermitteln in den Dialogen jede Menge Kraft zur Selbstbestimmtheit. Das ist genau der Punkt, an dem sich vermutlich etliche Zuschauer selbst die Frage nach einem Leben durch die Macht der Dinge oder der Unterordnung unter die „Normalität“ stellen.

Matthias Engel, zusammen mit Ines Lacroix Prinzipal des Theaters an der Angel, leistet in diesem Stück des schwarzen, manchmal aber auch bittersüßen Humors Schwerstarbeit. Gleich fünf Rollen verkörpert er, darunter köstlich die exaltierte Mutter von Harold, aber ebenso den Pfarrer, den Psychiater, einen Inspektor und schließlich den Gärtner. Zwischen den Rollenwechseln liegen manchmal nur Sekunden, in denen er sich in den Kulissen bewegt.

Apropos Kulissen. Das Bühnenbild (Therese Thomaschke und Ensemble) besticht nicht nur durch den Wechsel zwischen minimalistischer Schlichtheit und üppiger Ausstattung, wenn es beispielsweise um das Wohnzimmer von Maud geht, sondern vor allem auch durch eine verblüffende Funktionalität. Lutz Kohlepp zeichnet für den preiswürdigen Bühnenbau verantwortlich.

Rosmarie Vogtenhuber und Therese Thomaschke, beide sind im Theater an der Angel keine Unbekannten, haben gemeinsam die Regie für „Harold und Maud“ übernommen. Das ist ein Novum, denn normalerweise ist eine Doppelregie nicht nur für alle Beteiligten höchst anstrengend, sondern geht meist auch schief. Hier allerdings nicht. Die beiden Frauen haben sich inhaltlich genau abgegrenzt, sahen sich in ihrer Mailabstimmung vorab als „zwei Dompteusen im Ring, die sich dann aber auf Gütertrennung geeinigt haben“.

Die Inszenierung von „Harold und Maud“ ist in verschiedener Hinsicht mutig. Der Stoff ist skurril, so skurril, wie das Leben. Das gefällt nicht jedem, weil man sich nicht nur amüsiert zurücklehnen kann, sondern sich hier und da auch als Betroffener wiedererkennt. Wer allerdings bereit und tolerant genug ist, sich und sein Lebensmodell zu hinterfragen, der wird das Stück lieben. Den „Anglern“ ist damit jedenfalls ein künstlerischer Wurf gelungen, wie wir ihn schon seit längerem nicht mehr erlebt haben.