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Harztheater „Bettelstudent“ beliebig bebildert

Carl Millöckers Operette „Der Bettelstudent“ erlebte ihre Premiere am Nordharzer Städtebundtheater in Quedlinburg.

Von Hans Walter 22.09.2017, 23:01

Quedlinburg l Kann man bei einem Repertoirestück des heiteren Musiktheaters wie „Der Bettelstudent“ noch etwas falsch machen? Man kann! Nämlich wenn man vom geschichtlichen Hintergrund der Handlung so gar keinen Schimmer hat.

Im Großen Nordischen Krieg zwischen 1700 und 1721 griff eine Dreierallianz – das Russische Zarenreich, Sachsen und Dänemark-Norwegen – Schweden an, es ging um die Vorherrschaft im Ostseeraum. Der Sachsenkönig August der Starke (ab 1697 in Personalunion als August II. König von Polen und Litauen) besetzte anfänglich mit seinen Soldaten Polen; ein sächsischer Offizier wurde Gouverneur in Polens ehemaliger Hauptstadt Krakau, bis die Sachsen 1706 durch den Friedensvertrag von Altranstädt endgültig zum Abzug aus Krakau gezwungen wurden.

Dieser Konstellation entspringt das Libretto um den Obristen Ollendorf: Er wollte Laura, die kesse Tochter der bettelarmen polnischen Gräfin Nowalska (Kammersängerin Gerlind Schröder), nur auf die Schulter küssen. Die selbstbewusste Laura schlug ihm dafür mit dem Fächer ins Gesicht. Dafür schmiedete Ollendorf (der herrlich komödiantische Klaus-Uwe Rein) einen Racheplan.

Die Sachsen waren seinerzeit aber eine vergleichsweise freundliche Besatzungsmacht. Ollendorf ist ein verschlamperter Typ. Seine Rache erschöpft sich in einem freundlichen Mummenschanz der gefangenen Revolutionäre Symon (Tobias Amadeus Schöner) und Jan (Michael Rapke) für die armen Schwestern Laura (Runette Botha) und Bronislawa (Bénédicte Hilbert). Zum Schluss wird daraus die ganz große Liebe; der Polin Reiz ist eben ganz unerreicht.

In der eigens von Regisseurin Anke Rauthmann für das Städtebundtheater geschaffenen Dialogfassung gibt es als Begleitung für Gouverneur Ollendorf die von vier auf zwei Rollen reduzierten Offiziere des sächsischen Regiments: Major von Wangenheim und Rittmeister von Henrici. Es sind pflichteifrige Trottel vor dem Herrn, die eben mal im Handumdrehen eine polnische Fahne konfiszieren oder von den Polen Geld erpressen.

Aber dann hört der Jux auf, wenn Ausstatterin Daniela Herzberg das sächsische liebenswerte Großmaul Ollendorf mit einer preußischen Pickelhaube kostümiert oder diesen beiden Herren Langschäfter, Breeches, Uniformjacken mit Schützenschnüren und schneidige Mützen à la Wehrmacht verordnet. Warum zum Teufel schafft sie solch kriegerische Assoziationen übelsten preußischen Militarismusses? Von 1939 bis 1945 war nämlich der Wawel in Krakau Verwaltungssitz im von der Wehrmacht überfallenen Polen. Der „Generalgouverneur“ hieß Hans Frank, er war der „Schlächter der Polen“ und wurde dafür in Nürnberg im Oktober 1946 zum Tode verurteilt.

Man hatte beim Betrachten des „Bettelstudenten“ den Eindruck, dass die Ausstatterin nie so recht wusste, was sie mit ihren Bildern und Details sagen will. Mit einem bühnengroßen Riesenrad beispielsweise. War das zu der Zeit schon erfunden? Trug man damals noch Reifröcke? Warum ist der Ministrant eine Frau? Alles sehr verwunderlich. Und allzu beliebig.

Das Orchester unter Florian Kießling und die Sänger fanden streckenweise nicht zueinander – möglicherweise der Premierenaufregung geschuldet. Das Inszenierungsteam (Regisseurin, Ausstatterin und Dramaturgin) hatte wohl nicht seine beste Produktion erwischt.

Die nächsten Vorstellungen sind in Halberstadt am Sonntag sowie am 11. und 12. Oktober um 15 Uhr.