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Kabarett Hengstmann-Brüder reden über alles

Leicht haben es Kabarettisten nicht, die Wirklichkeit in ihrer Absurdität zu überbieten. Die Hengstmann-Brüder versuchen es trotzdem.

Von Rolf-Dietmar Schmidt 02.11.2018, 23:01

Magdeburg l Es war wohl so etwas wie die späte Rache der deutschen Bundeskanzlerin für die vielen Lachnummern der Hengstmann-Kabarettbrüder über ihre Person. Da wurde wochenlang an dem neuen Programm „Wir können über alles reden“ geschrieben und geprobt, und dann, kurz vor der Premiere, tritt die prominente Trägerin des Drei-Knopf-Blazers vorerst vom Parteivorsitz zurück, ohne sich mit den beiden abzustimmen.

Da kann man nur eines machen, empört sich Tobias Hengstmann mit Blick auf sein Textbuch: Alles markieren und löschen. Dumm gelaufen.

Aber solche politischen Nickligkeiten werfen die Kleinkunst-Barden, die nun schon immerhin seit zehn Jahren auf der Bühne von „... nach Hengstmanns“ im Magdeburger Breiten Weg stehen, nicht aus der Bahn. Schließlich kann man über alles reden, also auch darüber, worüber man eigentlich reden wollte, wenn es das noch gäbe, worum es ging. Schließlich herrscht in deutschen Landen Meinungsfreiheit, was nicht bedeutet, dass man in der Kommunikation alles sagen kann, was man denkt. Denken ist still, während Reden mit Sprechen zu tun hat, meistens jedenfalls. Also muss man bestimmte Dinge auch ansprechen können. Dabei kann man allerdings schnell mit der Meinungsfreiheit in Konflikt geraten.

Die beiden Kabarettisten Tobias und Sebastian Hengstmann scheuen keine politisch-satirische Auseinandersetzung. Auch nicht in ihrem 15. Programm, durch das sie sich nicht nur mit dem spitzfindigen Wortflorett, sondern mitunter auch dem derben Sprachschwert schwingen.

Da geht es beinahe übergangslos vom Gender-Wahn, der die Kommunikation fast zum Erliegen bringt, singend zu so „wichtigen“ Fragen, wieso denn Füße riechen und Nasen laufen, um schließlich bei Platon zu landen. Zuvor wird noch der Ablauf einer Redaktionssitzung in einer bildhaften Tageszeitung exerziert, in der frei nach dem griechischen Philosophen demonstriert wird, dass, wenn die Welt das Abbild der Wirklichkeit sei, diese so lange korrigiert wird, bis sie der Weltsicht in den Redaktionsstuben entspricht. Auch darüber muss man reden.

Und dann ist sie plötzlich wieder da, die Merkel-Raute, wieder und wieder. Offenbar neigen auch Kabarettisten hin und wieder dazu, sich an Politfiguren festzubeißen, wie diese an der Macht. Und so prophezeien Sebastian und Tobias Hengstmann den endgültigen Rücktritt der Kanzlerin Merkel erst nach der Einweihung des Berliner Flughafens. Den wolle sie noch persönlich im Amt vornehmen. Das kann noch etwas dauern. Aber schließlich kann man über alles reden.

Und dann machen die beiden Kabarettisten in ihrem neuen Programm etwas, was ihnen ausgezeichnet zu Gesicht steht. Es ist ein Experiment, hatten sie schon vorab verkündet, und es waren ihre besten Szenen in diesem Programm. Die kabarettistischen Brüder besitzen die Fähigkeit, sehr schnell, sehr pointiert und höchst unterhaltsam zu improvisieren. Und das spielen sie aus. Da wird das Publikum nach Themen gefragt. „Was interessiert Sie ganz persönlich?“ heißt es mit einer großen Geste zum Publikum. Und das lässt sich nicht lange bitten. „Geld“ kommt prompt die Antwort.

Nichts leichter als das, geht der Disput zwischen den beiden auf der Bühne los. Und wenn der Improvisationsstoff nicht reicht, dann kommt geschickt der Übergang zur SPD mit den bissigen Hinweisen auf das Verscheiden der Volkspartei und ihrer Wiederauferstehung als Untote. Die SPD als Zombiepartei. Weiter geht es mit den Stichworten Diesel oder Bildung. Bei der Bildung beklagen die Hengstmänner, dass wir von allem zu wenig hätten. Zu wenig Lehrer, zu wenig Polizisten, zu wenig Pflegekräfte, zu wenig Geld.

Aber sie offerieren auch gleich die Lösung, mit dem, wovon wir nach ihrer Meinung zu viel haben - den Rentnern. Senioren in die Schulen, oder als Sicherheitskräfte rein in die Fußballstadien. Immer nach dem Motto „Egal ob Fußball oder Messe, heute gibt´s von Opa auf die .... Da ist dann wieder das derbe Wortschwert, das die beiden genauso vehement schwingen wie den feinen Seitenhieb. Man kann über alles reden, denn schließlich gibt es nach Meinung der Kabarettisten ebensowenig eine perfekte Demokratie wie eine perfekte Diktatur.

In diesen Improvisationsdialogen haben Sebastian und Tobias Hengstmann ihre stärksten Momente. Es war ein Experiment, aber das ist voll und ganz gelungen.