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Filmkunsttage Großes Kino mit wenigen Worten

Sachsen-Anhalts Filmkunsttage sind am Mittwoch im Magdeburger Studiokino eröffnet worden.

Von Klaus-Peter Voigt 15.10.2015, 23:01

Magdeburg l Der viel beachtete abendfüllende Debütfilm „Babai“ von Visar Morina war erstmals in seiner deutschen Synchronfassung zu sehen. Bis zum Sonntag laufen in zehn Städten insgesamt 40 sehenswerte Streifen über die Leinwand.

Die Filmkunsttage sind den Kinderschuhen entwachsen. Was ohne Preise und in gerade einmal zwei Kinos begann, ist im nationalen Festivalkanon angekommen. Verleiher und Filmemacher haben Vertrauen gewonnen, ist sich Festivalleiter Frank Salender sicher. Zum ersten Mal bewertet eine Jury die gezeigten Arbeiten. Mehrere Ehrungen für Künstler und Macher werden vergeben.

Zum Auftakt gab es eine Würdigung für Leistungen in der Tongestaltung. Dieser Spezialpreis ging an Ansgar Frerich, den renommierten Mischtonmeister, der 2015 bereits mit dem Deutschen Filmpreis für „Who Am I – Kein System ist sicher“ ausgezeichnet wurde. Mit „Babai“ erlebte das Publikum ein besonderes Schwergewicht aus der jüngsten Zeit. Der Spielfilm war bislang nur auf Festivals unter anderem in München und Karlovy Vary zu sehen. Erst für das kommende Jahr ist der offizielle Start vor allem in den Programmkinos geplant.

„Babai“ berührt, macht nachdenklich. Visar Morina, 1979 im Kosovo geboren und mit 15 Jahren nach Deutschland gekommen, beleuchtet hochemotional Flüchtlingszüge durch Europa. Studiert hat er in Köln Drehbuch und Regie. Nach mehreren Kurzfilmen nun sein Debüt im Spielfilmfach. Erzählt wird die Geschichte einer Odyssee des zehnjährigen Nori (Val Maloku) vom Kosovo bis nach Deutschland. Sein alleinerziehender Vater will Mitte der 1990er Jahre in das „gelobte Land“, hält die Reise für den Sohn für viel zu gefährlich. Der mühsame Handel mit Zigaretten, um die kleine Familie durchzubringen, scheint perspektivenlos. Er lässt Nori bei Verwandten zurück, steigt vor seinen Augen in den Bus in Richtung Norden.

Der Junge will das nicht akzeptieren, sieht seinen Vater Gesim (Astrit Kabashi) als einzigen fixen Punkt in seinem Leben. So beschließt er, ihm auf eigene Faust zu folgen, stiehlt Geld, um Reise und Helfer zu bezahlen. Mehrmals betrogen, zusammengeschlagen, mit Gewalt konfrontiert schafft Nori über Mazedonien und Italien das scheinbar Unmögliche.

In Köln angekommen, wird das Dilemma dieser Flucht aus der Not deutlich. Mittellos und gestrandet suchen Vater und Sohn einen Ausweg, ziehen weiter ...

Visar Morina schrieb das Buch für seinen Film selbst. Eigene Erfahrungen kamen mit den Erlebnissen anderer Flüchtlinge zusammen. „Ich habe mich für einen Charakter entschieden, der symbolisch für viele Schicksale steht“, sagt der Mann mit einem untrüglichen Gefühl für Momente und Geschichten. Im Rückblick ist es für ihn erstaunlich, wie „normal in jener Zeit Angst war“, lautet die kurze Einschätzung.

Im kleinen Schlauchboot von Mazedonien nach Italien erlebt der Zuschauer die Brutalität von Schleusern. Nachts, von der Küstenwache aufgetrieben, wirft der eines der Kinder an Bord kurzentschlossen und skrupellos ins Wasser, um die Verfolger abzulenken. Nichts, aber auch nichts soll die Überfahrt verhindern.

Gewalt prägt den Film permanent. Nori erlebt sie allenthalben und ist selbst zu ihr fähig. Keinen Moment sieht man ihn lächeln, es fehlt jegliche Hoffnung in seinen Augen, die zu einem starken Gestaltungsmittel des Films werden. Die Dialoge sind kurz, auf das Wesentliche beschränkt. Wenig Worte reichen, um Situationen verständlich zu machen, mitunter reichen Andeutungen aus, der Ausgang von Handlungen bleibt offen. Nur einmal, bei einem ritualisierten Treffen zweier Familien, werden die Fragen nach Frauen, Kindern, der Arbeit banal und zur Farce. Stets gibt es die eine stereotype Antwort: gut.

Der Autor und Regisseur arbeitete akribisch, recherchierte lange für die authentische Geschichte. Fünf Monate dauerte allein das Casting, um selbst kleine Rollen ausdrucksstark besetzen zu können. In Visar Morina scheint beträchtliches Potenzial für weitere Vorhaben zu stecken. Drei von vier Förderpreisen Neues Deutsches Kino im Juli auf dem Filmfest München für „Babai“ sprechen für sich.