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Böhmermann-Affäre Abrechnung ungewohnt unironisch

Jan Böhmermann rechnet mit der Böhmermann-Affäre ab - ungewohnt unironisch: "Ein trauriger Witz."

05.10.2016, 18:49

Köln (dpa/tw) l Jan Böhmermann (35) hat sich seine Worte sorgsam zurechtgelegt. Während er vom Blatt abliest, erinnert seine Haltung fast an einen Bundeskanzler, der gerade eine Fernsehansprache an das Volk hält. Und Böhmermann hat auch tatsächlich etwas ziemlich Politisches zu sagen: "Wenn ein Witz eine Staatskrise auslöst, ist das nicht das Problem des Witzes", verkündet er. "Sondern des Staates".

Einen Tag, nachdem die Staatsanwaltschaft Mainz erklärt hat, wegen seines "Schmähgedichts" nicht mehr gegen Böhmermann zu ermitteln, rechnet der Satiriker in einem YouTube-Clip persönlich mit der sogenannten Böhmermann-Affäre ab.

Im März hatte er in seiner Sendung ein "Schmähgedicht" über den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan vorgetragen. Wie er sagte, wollte er damit den Unterschied zwischen erlaubter Satire und verbotener Schmähkritik verdeutlichen. Die Staatsanwaltschaft ermittelte daraufhin allerdings wegen Verdachts auf Beleidigung eines ausländischen Staatsoberhaupts. Über Tage beschäftigte die Affäre Deutschland.

An der Art, wie Böhmermann in seinem rund siebenminütigen Clip diese ganze Geschichte kommentiert, ist abzulesen, wie ernst es ihm damit ist. Er bleibt für seine Verhältnisse relativ unironisch. Aus dem "juristischen Proseminar", wie er das Gedicht heute nennt, macht er eine Art Witze-Seminar für Humor-Theoretiker. Kernfragen: Unter welchem Umständen kann Satire entstehen?

Dabei rechnet Böhmermann auch mit der türkischen Politik ab. "Während Sie dieses Video sehen, sitzen in der Türkei Menschen in Haft ohne Chance auf einen fairen Prozess, müssen ihre Reisepässe abgeben und dürfen das Land nicht verlassen", erklärt Böhmermann. Einfach nur weil sie eine andere Meinung vertreten hätten. "Das ist Scheiße, und genau darum geht es." Um Meinungs- und Kunstfreiheit. Das ganze Theater um ihn sei dagegen selbst "ein großer trauriger Witz".

Den Namen Merkel nimmt Böhmermann zwar nicht in den Mund. Im Subtext geht es aber natürlich um die Kanzlerin, die das Gedicht zunächst "bewusst verletzend" nannte, diese Äußerung aber später als Fehler bezeichnete. "Politik, die diese grundlegenden Werte und Prinzipien, die Meinungs- und Kunstfreiheit standfest und notfalls offensiv verteidigt, kann jeden noch so geschmacklosen Witz souverän weglachen", sagt Böhmermann.

Am Ende stimmt er noch einen Klassiker der Satire-Könige von Monty Python an: "Always Look on the Bright Side of Life" aus "Das Leben des Brian". War es das nun mit der Böhmermann-Affäre? So ganz wohl kaum. Die Entscheidung der Mainzer Staatsanwaltschaft gibt dem Komiker ganz neue Beinfreiheit, die Geschichte durch den Kakao zu ziehen. Dass er sie nicht unkommentiert stehen lässt, ist sowieso klar. Böhmermanns Schaffen besteht in großen Teilen aus Selbstreferenzialität.

Und auch Deutschland ist trotz der Böhmermann'schen Grundsatzrede wohl nicht vor einer neuen Affäre dieser Art sicher. Oder wie es die Direktorin des Grimme-Instituts, Frauke Gerlach, am Mittwoch formuliert: "Mein Eindruck ist, dass das Gedächtnis bei solchen Debatten kurz ist."

Der Münchner Anwalt des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan will unterdessen Beschwerde gegen die Einstellung des Böhmermann-Verfahrens einlegen. "Ich kann bestätigten, dass die Beschwerde eingelegt werden soll", sagte Michael-Hubertus von Sprenger der Deutschen Presse-Agentur am Mittwochabend. Zuerst hatte die "Bild"-Zeitung darüber berichtet. Die Beschwerde müsse binnen 14 Tagen eingelegt werden, sagte von Sprenger weiter.

"Bild" zufolge hat Erdogan seinen Anwalt angewiesen, die Entscheidung der Staatsanwaltschaft Mainz anzufechten. Die Anklagebehörde hatte am Dienstag erklärt, dem TV-Satiriker Jan Böhmermann (35) seien keine strafbaren Handlungen mit der erforderlichen Sicherheit nachzuweisen. Böhmermann hatte das "Schmähgedicht" über Erdogan Ende März in seiner Sendung "Neo Magazin Royale" vorgetragen und wollte mit diesem Beispiel zeigen, was in Deutschland als Satire erlaubt und was auch hier verboten sei.

Auch aus der türkischen Regierungspartei AKP ist harsche Kritik an der Einstellung der Ermittlungen gegen ZDF-Satiriker Jan Böhmermann laut geworden. Der deutsch-türkische Abgeordnete Mustafa Yeneroglu nannte es am Mittwoch einen "Skandal", dass die Mainzer Staatsanwaltschaft das Verfahren gegen Böhmermann wegen dessen "Schmähgedichts" über den türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan eingestellt hatte. Das sei "ein Armutszeugnis für die deutsche Justiz", sagte der Erdogan-Vertraute. Er gehe davon aus, dass Erdogan Beschwerde gegen die Entscheidung einlegen werde.

Yeneroglu kritisierte: "Dass eine derart offensichtliche Verletzung eines Straftatbestandes mit juristischen Taschenspielertricks und bester haarspalterischer Manier nicht weiterverfolgt wird, hätte ich als in Deutschland ausgebildeter Jurist nicht für möglich gehalten." Er warf der Staatsanwaltschaft vor, diese habe sich "mitreißen lassen von der allgemeinen Stimmung gegen den türkischen Präsidenten und dabei jegliches Gespür für die juristische Rechtsanwendung verloren".

Die Bundesregierung will die Einstellung der Ermittlungen gegen Jan Böhmermann (35) wegen seines "Schmähgedichts" über den türkischen Präsidenten nicht kommentieren. "Es ist alles gesagt", erklärte Regierungssprecher Steffen Seibert am Mittwoch in Berlin. Für die geplante Abschaffung des "Majestätsbeleidigungs"-Paragrafen liefen Gespräche in der Regierung, ein Gesetzentwurf werde "zu gegebener Zeit" vorgelegt.