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Film  Aus dem Gulag in die DDR

Der neue Film von Regisseur Bernd Böhlich "Und der Zukunft zugewandt" kommt in die Kinos. Er wurde auch in Magdeburg gedreht.

Von Grit Warnat 30.08.2019, 01:01

Magdeburg l „Archipel Gulag“, das große Werk von Alexander Solschenizyn, durfte nicht in der Sowjetunion erscheinen. In der DDR war das Buch, das im Westen erschienen war, nur als geheime Lektüre möglich. Solchenizyn hatte den Stalinschen Terror angeprangert und das schrecklich-brutale Lagersystem in der Sowjetunion. Man wollte das nicht wissen – weder in der UdSSR noch in der DDR.

Mit Solschenizyn hat der neue Böhlich-Film „Und der Zukunft zugewandt“ nichts zu tun. Aber was da auf der Leinwand thematisiert wird, dreht sich ums Schweigen über die Thematik und das Nicht-Wahrhaben-Wollen der Funktionäre, dass Josef Stalin in den Weiten seines Riesenreiches deportierte und wegsperrte, verhungern, erfrieren, ermorden ließ. Die Zeit der großen Säuberungen ist ein hochdüsteres Kapitel der russischen Geschichte.

Doch es waren nicht nur sowjetische Ärzte, Diplomaten, Offiziere, Anwälte, die der Diktator hinter Stacheldraht brachte. Es waren auch deutsche Kommunisten, die unschuldig der Spionage angeklagt wurden und klammheimlich in Lagern in Sibirien oder hinter dem Polarkreis verschwanden. Antonia Berger (Alexandra Maria Lara) gehört zu ihnen. Der Vater ist Kommunist, sie ebenso. Sie zieht es in Zeiten, als Hitler in Deutschland seine Macht immer weiter festigte, nach Moskau. Doch dort wird sie als Feind gesehen, in fünf Minuten abgeurteilt. Lager. Wokuta. Mit Mann und kleiner Tochter. Ihr Partner überlebt nicht. Er wird erschossen.

Als Antonia nach Jahren der schweren Zwangsarbeit und des Leidens nach Fürstenberg kommt, es ist 1952, die DDR noch ganz jung, werden der jungen Frau mit ihrer schwer erkrankten Tochter alle Wege bereitet: Geld, Lebensmittelkarten, möblierte Wohnung, ein Arbeitsplatz. Als Gegenleistung soll sie sich verpflichten, über die Vergangenheit keinem ein Wort zu sagen. Sie hätte, so wird ihr für mögliche Nachfragen nahelegt, in verschiedenen Gegenden der Sowjetunion gearbeitet. Antonia unterschreibt in der SED-Kreisleitungszentrale. An der Wand hängt ein großes Bild von Stalin.

Antonia beginnt – wenn auch mühevoll – ein neues Leben, übernimmt die Leitung im Haus des Volkes. Ihre Tochter, wieder genesen, freut sich auf die Schule. Der junge Arzt Konrad (Robert Stadlober) macht ihr Avancen. Man spürt im Film diese kleine aufkeimende Hoffnung auf eine andere, schöne, bessere Zukunft.

Konfrontiert aber wird sie immer wieder mit der Heroisierung des Diktators („der beste Freund des deutschen Volkes“). Bei den Nachbarn wird auf das Glück und die Zukunft dank Stalin angestoßen. Zu dessen 73. Geburtstag bekommt Antonia von der Partei einen Fernseher geschenkt – in Berlin-Adlershof wird anlässlich des Ehrentages der Sendebetrieb aufgenommen.

Reden aber darf sie nicht. Die Mutter, die sie nach Jahren wiedersieht, wirft ihr vor, sich all die Jahre nicht gemeldet zu haben. Kein Brief. Nicht eine Zeile. Es wird doch wohl Briefmarken in der Sowjetunion gegeben haben, stellt sie verärgert fest. Auch gegenüber ihrer neuen, zarten Liebe lügt Antonia und erfindet Geschichten. Ihr Blick ist traurig, die Augen glanzlos.

Ihre Freundin und einstige Gulag-Mitinhaftierte erzählt viel offener vom Schmerz im Herzen. „Hier drinnen ist alles kaputt.“

Dann kommt das Jahr 1953 und mit ihm der Tod von Stalin. Das Drama nimmt seinen Lauf, als ehemalige Mitleidensgefährtinnen auf den Tod des Diktators mit Sekt anstoßen. Antonia schweigt. Und während ihre Liebe, der Arzt Konrad, von der Wahrheit erfährt und nach Hamburg zu seinen Eltern abreist, weil er entsetzt ist über diesen Lug und Trug, bleibt Antonia in der DDR. „Ich gehe nicht fort.“ Sie ist der Zukunft zugewandt.

Grimme-Preisträger Böhlich (Buch und Regie) erzählt still und ruhig in seinen Bildern und hat eine starke Hauptdarstellerin gefunden. Sie spielt glaubwürdig diese große Zerrissenheit zwischen schmerzhafter Vergangenheit und dem hoffnungsvollen Blick nach vorn.

Aus heutiger Sicht ist es schwer nachvollziehbar, warum jemand wie Antonia diesem System mit ihren Funktionären und Agitatoren die Treue hält, warum sie Kommunistin bleibt. Aber sie ist da kein Einzelfall. Magdeburgern fällt da vielleicht die Geschichte von Werner Eberlein ein, einstiger SED-Bezirkschef. Die Familie ging ins Exil nach Moskau. Dort wurde Werner Eberleins Vater, ein prominenter KPD-Führer, und zwei seiner Onkel vom sowjetischen Geheimdienst NKWD ermordet. Werner Eberlein lebte selbst jahrelang in Verbannung.

Böhlich hat sich bewusst für das Bleiben seiner Protagonistin in der DDR entschieden. Das kommt nicht so häufig vor in Filmen. In einem Interview sagte er: „Viele Menschen sind an der DDR verzweifelt – und hatten trotzdem nicht ihre Abschaffung im Sinn, sondern ihre Veränderung.“

Gedreht wurden zahlreiche Szenen in Eisenhüttenstadt, aber auch in Magdeburg. In Eisenhüttenstadt gibt es am 3. September die Deutschlandpremiere. Am 5. September startet „Und der Zukunft zugewandt“ bundesweit in den Kinos und ab diesem Tag auch im Studiokino Magdeburg.