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Künstlerporträt Ein Lebenswerk aus Glas

Der Magdeburger Glasgestalter Richard Wilhelm hat vielerorts Bleibendes geschaffen. Jetzt ist er 85 Jahre alt geworden.

Von Grit Warnat 09.02.2017, 00:01

Magdeburg l Wenn Richard Wilhelm aus seinem Arbeitszimmer schaut, dann ist der Blick frei auf den hoch aufragenden Turm der Magdeburger Pauluskirche. Wilhelm erfreut sich an dieser Aussicht wie auch am Konzertleben im Inneren. Gern geht er mit seiner Frau hinüber in diesen Kulturraum – wohl auch, weil seine letzte Arbeit, eine Replik eines Glasbildes für die Dorfkirche Süpplingen (Bördekreis), im modernen Anbau der Pauluskirche verewigt ist. „Lobet den Herrn ... Schöpfer des Himmels und der Erden“ hat er dieses Glasbild genannt.

Wilhelm hat heute ein Arbeitszimmer, sein Haus mit dem großen Atelier im Magdeburger Stadtteil Hopfengarten hat er vor zwei Jahren aufgegeben. Bis zu seinem 82. Lebensjahr arbeitete er dort unermüdlich. Nicht selten acht Stunden am Tag, sagt er. „Wenn ich das Medium Glas ansehe, kommen mir Ideen.“

Und jetzt? Es bleibt Geschaffenes an vielen Orten und der Blick auf ein reiches Glasgestalter-Leben.

Wie alles anfing in seiner Geburtsstadt Bautzen? Der 85-Jährige hat beste Erinnerungen an einst, an die Werkstatt seines Vaters, in die er stets ging, wenn er aus der Schule kam. Und wie er Weihnachten ein doch eher ungewöhnliches Geschenk bekam: Einen Glaserdiamanten. Er kannte das Werkzeug schon, aber gearbeitet hatte der damals Sechsjährige damit noch nicht. Und dann habe der Vater gesagt: „Junge, damit wirst du morgen Glas schneiden.“ Und Richard ging mit dem Vater am ersten Weihnachtstag in die Werkstatt. Mein Vater sagte, der Diamant müsse schön auf dem Glas singen“, erinnert sich Wilhelm.

Seitdem sang der Diamant. Anfangs für ganz normale Glaserarbeiten an Kirchenfenstern. Detonationen im Krieg hatten zerstörerische Kräfte entfaltet. Da half Richard Wilhelms handwerkliches Geschick. Hinzu kam seine künsterlische Begabung. Für sein Gesellenstück, Deutschland lag noch in Trümmern, entwarf er ein Goethe-Porträt, eine Ehrung zum 200. Geburtstag des großen Dichters. Intransparentes Glas und Blei. Keiner der Lehrenden traute ihm das wirklich zu, erinnert sich Wilhelm. Er ja. Und der Obermeister habe schließlich anerkennend zu ihm gesagt: Bis zur Meisterprüfung müssen Sie sich nichts Neues ausdenken.

Heute gehört sein Gesellenstück zum Bestand des Museums Bautzen. Wilhelm nennt Bautzen Vaterstadt. Wenn er von Magdeburg spricht, sagt er Heimatstadt. Seit 1952 lebt er hier.

Meisterprüfung, Gründung einer Künstlergruppe mit Oskar Hamann und Reginald Richter, Dozent an der Fachschule für Angewandte Kunst Magdeburg, viel später Studium an der Kunsthochschule Berlin-Weißensee, seit 1984 freiberuflich tätig.

Eine ungeheure Fülle an Glasbildern, Plastiken und architekturbezogenen Arbeiten hat er in all den Jahren geschaffen. Allein in 61 Kirchen, Klöstern, sakralen Räumen hat Wilhelm seine glasgestalterische Handschrift hinterlassen. Er hat restauriert und neu gestaltet – farbige Fenster, wie er sagt. „Fenster sind nicht bunt.“

Und natürlich bekam er Aufträge für öffentliche Gebäude. Krankenhäuser, Hochschulen, Friedhofshallen. Den Landtag von Sachsen-Anhalt zieren Wilhelm’sche Glasbetonfenster. Wer im Café des Berliner Fernsehturmes sitzt, schaut auf „Unsere Galaxis“, eine großflächige Wandgestaltung aus dem Jahr 1969. Als Gemeinschaftsarbeit mit Reginald Richter war einst für den Palast der Republik die sogenannte „Gläserne Blume“ entstanden. 1990 wurde sie demontiert. Um ihre Miturheberschaft musste er bei der Stiftung Humboldt-Forum kämpfen, erzählt er und blättert in seinen Unterlagen. Schriftlich hat er jetzt vorliegen, dass er zukünftig stets mit Herrn Richter als Urheber benannt wird. Der Schriftwechsel füllt zwei Aktenordner. „Ich konnte schon immer sehr beharrlich sein“, sagt er.

Eine Ausstellung zu seinem 85. Geburtstag in Magdeburg ist nicht geplant. Bautzen hingegen hatte ihm vor fünf Jahren zum 80. eine Schau gewidmet, die Einblick gab in Richard Wilhelms Schaffen, in seine Vielseitigkeit zwischen Bleiverglasung, Glasmalerei, Applikation, Betonglas und in seine Kunst zwischen Tradition und Moderne.