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Kultur Einbahnstraße im Opernhaus

Das Theater Magdeburg nimmt mit Alternativprogramm den Spielbetrieb wieder auf und präsentiert Arien der besonderen Art.

Von Janette Beck 02.06.2020, 01:01

Magdeburg l „Wir spielen für Euch“ – unter diesem Motto stand nach der coronabedingten Zwangspause die Wiedereröffnung des Theaters Magdeburg am Freitagabend. Ob der strengen Auflagen – sowohl für das Publikum als auch für die Akteure – stellte sich die Frage: Arien aus drei Opern – wie kann das verordnungsgemäß gehen?

90 Minuten vor dem Startschuss für das Experiment der besonderen Art gewährt Theater-Sprecherin Christine Villinger einen Blick hinter die Kulissen des Opernhauses. Beim Gang durch die verwaisten Katakomben bekommt man ein Gefühl dafür, wie ruhig es hier seit Mitte März gewesen sein muss. Man könnte eine Stimmgabel summen hören. Die Stille ist gespenstig. Und der Gedanke, dass ein Virus dem Kulturleben so lange die Luft zum Atmen und den Sängern, Schauspielern, Musikern und Tänzern ihre Daseinsberechtigung genommen hat, ist bedrückend.

Dass sich hinter einigen Türen, an der Kasse und im Foyer langsam etwas bewegt, ist jedoch ein Beweis, dass sich das Haus aus der coronabedingten Schockstarre löst. Das Theater, es lebt noch! Villingers Augen strahlen über den Mund-Nasen-Schutz hinweg: „Wir sind so glücklich, dass es endlich wieder losgeht und wir das Zeichen setzen können: ,Wir sind wieder da‘ - egal unter welchen Umständen.“

Die sind in der Tat gewöhnungsbedürftig. Im Opernhaus herrscht Linksverkehr. Aufsteller und Hinweisschilder fordern die Aufmerksamkeit der Besucher. Auf dem Boden weisen Einbahnstraßenschilder den Weg. Auf den Gängen ist ein Abstand von 1,5 Metern einzuhalten. Und es muss ein Mund-Nasen-Schutz getragen werden (der im Saal aber abgenommen werden darf). Der Einlass erfolgt über die linken Türen im Parkett, rechts geht‘s wieder raus. Es wird gebeten, die Plätze frühzeitig einzunehmen. Kein Problem. Die Bar und das Café „Rossini“ haben eh geschlossen. Sektchen, und Häppchen sind passé. Schade, es war einmal vor Corona ..., aber damit kann der Theaterfreund leben.

Dafür gibt es Desinfektionsmittel gratis. Und statt eines Aperitifs wird jedem der 50 Opernbesucher ein Gesundheitsfragebogen gereicht: Wichtig ist neben Name, Adresse und der Bestätigung, cororona-frei zu sein, der Vermerk, auf welchem Platz in welcher Reihe man sitzt.

Auch für die sieben Sängerinnen, zwei Sänger, drei Pianisten und einen Klarinettisten – die an diesem Abend Szenen und Arien aus den Opern „Titus“, Rigoletto“ und La Bohéme“ präsentieren – gelten besondere Regeln, wie Villinger betont: Minimalistische musikalische Begleitung. Der Abstand der Sänger zur ersten Reihe muss sechs Meter betragen. Auch untereinander auf der Bühne gilt es den Abstand einzuhalten. Bunte Kreuze auf dem Boden dienen der Orientierung. „Das ist für die Sänger ungewohnt schwer“, konnte Villinger bei den Proben beobachten. „Gerade, wenn es wie bei La Bohéme um Liebe und Leidenschaft geht.“ Da habe Rodolfo (Jonathan Winell) natürlich die Nähe zu seiner Mimi (Raffaela Lintl) gesucht. „Jetzt kommt es mehr auf Gestik und Mimik an.“

Nach dem dritten Klingeln ist die Spannung auf dem Höhepunkt. Es geht los. Generalintendantin Karen Stone betritt die Bühne. „Eigentlich würde ich tieftraurig sein, dass ich hier vor nur 50 Zuschauern im Saal stehe“, gesteht sie. „Aber nein, ich bin ekstatisch. Es ist wahnsinnig wichtig und es beflügelt mein Herz, dass wir wieder loslegen können. Ich sehe hier viele Gesichter, die ich lange kenne, und möchte mich bedanken bei allen für ihre Loyalität und Treue.“

Während die Pianisten gefühlvoll die Tasten streicheln, eine Gänsehaut die nächste jagt, weil die Sänger wahrhaftig ihr Bestes geben und ihre Arien schmettern, als wäre der Saal ausverkauft, vergeht die Zeit wie im Flug. Nach eineinhalb Stunden (ohne Pause) ist der Zauber vorbei und der lange Applaus ganz offensichtlich Balsam für die coronageschundenen Künstlerseelen. Mezzosopran Emilie Renard gesteht, dass für sie das Programm ziemlich schwer gewesen ist. „Normalerweise probt man ja so eine Rolle Tag für Tag mit Bühnenbild und Requisiten und allem Drum und Dran und das war trotz der Proben in den letzten Wochen natürlich nicht so. Es fühlte sich deshalb eher nach einer Feuertaufe an!“

Steffen Jantos, der extra aus Dresden angereist war, ist indes buchstäblich aus dem Häuschen. „Die Stimmen waren sensationell. Vergesst Dresden und feiert Magdeburg!“, jubiliert der leidenschaftliche Operngänger. „Bei uns reden sie nur, aber es passiert nichts. Gar nichts. Hier in Magdeburg machen sie. Chapeau!“

Rentner Manfred Kroll, der mit seiner Musikschulfreundin Ingeborg Jäger aus Gießen die rar gesäten 5-Euro-Tickets online ergattert hatte, schlägt indes leise Töne an. „Das ist mein Haus. Und es ist so herrlich, dass es endlich wieder auf hat. Es war wie nach Hause kommen“, erklärt der Magdeburger, der 30 Jahre als Bratschist hier gewirkt hat, mit Tränen in den Augen. „Dieses Zeichen der Hoffnung haben alle so sehr gebraucht.“ Meinung