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Kultur Zigeunerbaron im „Club der Affen“

Tobias Heyder hat am Theater Magdeburg die Operette „Der Zigeunerbaron“ von Johann Strauß witzig inszeniert.

Von Irene Constantin 25.10.2020, 23:01

Magdeburg l Die Ouvertüre erklingt in einer von Dirigent Pawel Poplawski eingerichteten kleinen Orchesterfassung. Das macht den Klang durchsichtig, modelliert die Farben besonders deutlich. Schöne Soli der Holzbläser kontrastieren zu knackigen Orchestereinwürfen. Wehmütiges Steppen-moll überschneidet sich scharf konturiert mit dem Repertoire der Wiener Tanzsäle. Johann Strauß ganz groß.

Dann Vorhang auf: Keine Puszta, kein Zigeunerlager, kein verfallenes Schloss, kein Schweinebauernhof weit und breit. Dafür hat Bühnenbildner Pascal Seibicke ein Kellertheaterchen mit Rüschenvorhang und kleinen Tischen gebaut, die Revuebühne im „Club der Affen“. Man probt den „Zigeunerbaron“.

Auf den Fußbodendielen wird gegraben, Schweinebauer Zsupán sucht einen Schatz. Und zwar auf Land, das ihm nicht gehört. Aber der rechtmäßige Besitzer naht im grün-goldenen Glitzeranzug. Es ist der junge Barinkay, einst verbannter, dann weltreisender Luftikus in allen Varietékünsten, die auf Ehr‘ gar nicht schwer sind. Er wurde begnadigt und die auf seinem Land ansässigen (?) „Zigeuner“ wählen ihn flugs zu ihrem Zigeunerbaron. Dazu reicht, wenig demokratisch, die Stimme der Zigeunerin Czipra, von Kostümbildnerin Janine Werthmann in ein lila Rüschenkleid und Netzstrümpfe verpackt. Außerdem läuft sie – Zigeunerweib = Wahrsagerin – immer mit ihrer Glaskugel durch die Gegend.

Ihre Tochter Saffi, Noa Danon, braucht nur ihre schwarzen Locken zu schütteln, um die perfekte Zigeunerin zu sein. Saffis Auftritt ist so spektakulär, wie sie ihr Auftrittslied singt. Das Zigeunermoll schluchzt volltönend, die Csárdásläufe jubeln melancholisch, die leise beschwörenden Töne machen Gänsehaut, die Spitzentöne triumphieren unangefochten.

Barinkay sieht sie, und als Ersatz für die verpasste Schweinefürsten-Tochter Arsena erscheint ihm das Zigeunerkind ganz passend für die erste Nacht in der alten Heimat. Aber er hat nicht mit dem Tugendwachdienst Conte Carnero in der Gestalt der langbeinigen Conférencière gerechnet. Ihr muss er eine ordentliche Hochzeit mit Saffi nachweisen: Dompfaff, Störche als Ausrede; man kennt das gemütliche Liedchen von Uromas goldener Hochzeit. Von wilder Liebesnacht hört man musikalisch jedenfalls nichts.

Aber so witzig, wie Regisseur Tobias Heyder das Duett in Szene gesetzt hat, verzeiht man ihm die Spießigkeit. Wenigstens hat Saffi im Traum den Schatz gefunden, diesmal nicht im verfallenen Turm, sondern hinterm Bartresen.

Überhaupt ist vornehmlich witzige Übertreibung für Tobias Heyder ein wichtiges Stilmittel, den Schweinespeck des Borstenviehs ordentlich ironisch auf die Schaschlikstäbchen zu spießen. Ein Anderes ist die allgegenwärtige kellertheatermäßige Revue-Ästhetik. Unterm Gouvernantenkleid die Strapse, Odile und Odett als skurrile Spitzentanz-Einlage, der Wiener Walzer ein Männerballett.

Und immer wieder wuseln die drei Affen „Nichts-hören-nichts-sehen-nichts-sagen“ durch die Szene. Der Chor muss leider hinter der Bühne singen; sichtbar präsentieren sich die Zigeuner als vier leichtgeschürzte Tanzpaare, vornehmlich auf der Revue-Treppe. All die herrschaftstreu unterwürfigen Spießigkeiten des Stücks werden so einfallsreich ins Anarchische getrieben, wie es der Operette als Genre eigentlich gebührt.

Vor dem 3. Akt allerdings ist Schluss mit lustig. Die Conférencière, Susi Wirth, rezitiert sehr berührend einen Text über das Grauen des 1. Weltkrieges. Dazu passt die Kriegsbegeisterung, die Arsenas Liebhaber, den kleinen Ottokar, erfasst hat ,und noch mehr das anrüchig böse Leichenfledderei-Lied des braven Schweinzüchters.

Einzig Barinkay kommt halbwegs anständig von der Front und kriegt die inzwischen zur türkischen Fürstentochter avancierte Saffi. Dass Noa Danon ganz in Weiß mit Prinzessinenkrönchen umwerfend aussieht, versteht sich von selbst.

Die Gesangskrone indes teilt sie sich mit Stefanos Tsirakoglou. Der kernige Schweinefürst hat dunklen Samt in der Kehle, Markigkeit natürlich auch, aber Pianotöne, die einen ganz, ganz weit weg tragen können. Hörenswert.

Anders Kampmann sang einen wohllautenden, sehr jugendlichen Barinkay, der aber auch kräftig aufdrehen konnte. Musste er auch, wie alle anderen, denn das stets flotte und straffe Orchester übte sich nicht allzu sehr in Zurückhaltung. Beeindruckend straff und generalsmäßig stimmstark, fast gespenstisch Johannes Wollrab als kanonenreitender Militarist Homonay. Toller Abend, nur nichts für Freunde der schmalzigen Operettengala.