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Interview mit dem Kabarettisten Reiner Kröhnert "Es gibt diesen Sisyphos-Stein, den ich rolle"

16.10.2010, 04:13

Reiner Kröhnert nimmt in der deutschen Kleinkunst eine Sonderstellung ein: Seine Programme und TV-Auftritte sind eine Mischung aus satirischem Theater und politischer Parodie. Im jüngsten Programm "Das Jesus Comeback" schlüpft er in 14 Rollen, darunter Angela Merkel, Papst Benedikt 16., Erich Honecker und Klaus Kinski. F.-René Braune traf den Kabarettisten nach seinem Gastspiel in der Magdeburger Zwickmühle.

Volksstimme: Sie begeistern Ihr Publikum immer wieder dadurch, dass Sie oft innerhalb weniger Sekunden von einer Person in die nächste schlüpfen und jede davon absolut überzeugend parodieren. Wie studiert man einen anderen Menschen ein, sehen Sie sich Dutzende Videos an?

Reiner Kröhnert: Video war früher, mittlerweile gibt es Youtube, das ist einfach herrlich, weil ich da jede Figur abrufen kann. Aber ich habe tatsächlich ein Videoarchiv im Keller, fein säuberlich von A bis Z sortiert, auf das ich immer zurückgegriffen habe, um die jeweiligen Personen einzu- studieren.

Dabei sucht man natürlich nach dem individuellen Tick. Friedrich Merz ist da ein schönes Beispiel. Als ich mit ihm angefangen habe, war er bei Kerner in der Talkshow und hat erzählt, dass er als junger Mann lange Haare hatte und sein Moped frisiert hat. Da ließ er ein bisschen den Rocker raushängen und da wusste ich – ein Angeber.

Auf diese Weise versuche ich dann, das jeweils Typische in meiner Gestaltung herauszuarbeiten. Wenn ich diesen psychologischen Tick gefunden habe, komme ich in die Figur rein. Bei Peter Hintze und Ronald Pofalla ist es beispielsweise das Devote, das sich wunderbar überspitzen lässt. Bei Gerhard Schröder ist es das Machohafte …

"Ich will meinen Figuren mehr Zeit geben"

Volksstimme: Ganz naiv gefragt: Üben Sie dann vor dem Spiegel?

Kröhnert: Nein, der Spiegel wäre grundverkehrt. Ich schließe die Augen, sehe die jeweilige Person vor mir und versuche, diese Person zu werden. Meine Frau übernimmt dann gewissermaßen die Endabnahme und wenn sie ihr Okay gibt, weiß ich, dass es funktioniert.

Volksstimme: Wie lange brauchen Sie, bis ein Programm einstudiert ist?

Kröhnert: Manchmal gibt es bei der Entwicklung von Ideen für ein neues Programm eine Vorlaufzeit von mehr als einem Jahr, das eigentliche Einstudieren, also die heiße Phase, kann dann schon vier bis fünf Monate dauern.

Volksstimme: Wenn man Ihnen zusieht, weiß man häufig nicht, worüber man gerade lacht – über die parodistische Überspitzung oder den satirischen Gehalt. Was hat für Sie die Priorität?

Kröhnert: Mein Anliegen ist speziell beim "Jesus Comeback" das Was. Es ist eigentlich das erste Programm, bei dem ich das Wie an die zweite Stelle bringen möchte. Und ich glaube schon, dass mir das auch gelungen ist. Ich merke das auch an den Reaktionen des Publikums.

Wenn ich früher in der Pause mal gelauscht habe, ging es immer darum, wen ich am besten getroffen habe, den Kohl, den Honecker oder den Kinski beispielsweise. Dann hab’ ich mich oft gefragt, warum nicht über die Inhalte gesprochen wird, aber die wurden vielleicht nicht so wahrgenommen …

Volksstimme: Lassen Sie deswegen ihren Figuren jetzt mehr Zeit für Soli, reduzieren Sie deshalb den Screwball-Anteil, die schnellen witzigen Dialoge?

Kröhnert: Das steckt dahinter, natürlich. Ich will meinen Figuren mehr Zeit geben, sich zu entfalten und ihre – wie auch immer geartete – Botschaft mitteilen zu können. Das aktuelle Programm und die darin erzählte Geschichte ist für mich so etwas wie das ultimative Programm. Mit der Rückkehr Klaus Kinskis als Messias ist für mich auch eine Grenze erreicht. Näher kann man am Wort Gottes eigentlich nicht sein. Und deswegen möchte ich mit dem nächsten Programm ein bisschen mehr zum normalen Kabarett zurückkehren.

"Diese komplexen Geschichten sind auch ein Korsett"

Volksstimme: Bei Wikipedia werden Sie als Parodist und Kabarettist geführt, dabei sind Ihre Inszenierungen ja mehr satirisches Theater. Wie sehen Sie sich selbst?

Kröhnert: Sie haben Recht, ich hänge da ein bisschen zwischen Theater und Kabarett. Das ist eine Entwicklung, die ich vollzogen habe. Ich will da aber wieder mehr Eindeutigkeit finden – schon, um den Zuschauern die Orientierung zu erleichtern. Schließlich gibt es ein Kabarettpublikum und ein Theaterpublikum. Ich habe 1987 mit reinem Nummernkabarett angefangen, bin dann mehr und mehr dazu übergegangen, komplexe Geschichten zu erzählen und werde nun wieder zum klassischen Nummernprogramm zurückkehren und den Bogen gewissermaßen schließen. Das neue Programm wird "Kröhnerts Krönung" heißen.

Volksstimme: Wie wichtig ist Ihnen die politische Satire? Aktualisieren Sie ihre Programme oder bleiben die wegen ihrer filigranen Dramaturgie so wie bei der Premiere?

Kröhnert: Ich aktualisiere ständig, aber das ist eben schwierig, weil diese komplexen Geschichten, die ich erzähle, natürlich auch ein Korsett sind, die wenig Spielraum für Änderungen bieten.

Mich hat beispielsweise das Thema Sarrazin sehr gereizt, aber es war für mein aktuelles Programm einfach nicht kompatibel. Doch das wird sich ändern, wenn ich wieder zum Nummernprogramm zurückkehre.

Volksstimme: Braucht man zu den Personen, die man parodiert, irgendeine Form von Beziehung?

Kröhnert: Gar nicht. Sie brauchen nur eine besondere Wesensart, damit ich mich für sie interessiere. Bei Westerwelle – um noch einen Namen zu nennen – hat mich die Fähigkeit fasziniert, so völlig von sich eingenommen zu sein …

"Es gibt unendlich viele Dinge, die mich stören"

Volksstimme: Haben Sie unter ihren Opfern eigentlich einen Liebling?

Kröhnert: Wenn das so ist, dann wäre das wohl Klaus Kinski, weil ich ja selbst mal eine Schauspielschule besucht habe. Ich habe ihn immer bewundert, er war für mich ein Jahrhundertschauspieler.

Volksstimme: Die meisten Kabarettisten zeichnen sich durch eine lang anhaltende Unzufriedenheit mit den bestehenden politischen Verhältnissen aus. Wie ist das bei Ihnen?

Kröhnert: Als Schäuble würde ich sagen: "’s ischt, wie’s ischt, und wie’s ischt, so isch’sts, das isch doch die Crux." Aber jetzt mal wieder im Ernst – es gibt schon diesen Sisyphos-Stein, den ich jahrelang für Rot-Grün nach oben gerollt habe. Und irgendwann war‘s das dann. Ich überlege, ob ich künftig einen rot-roten Stein rolle, weil wir so etwas im Bund noch nicht hatten.

Volksstimme: Wie ist Ihre Sicht auf das Deutschland von heute? Fehlt uns ein exaltierter gnadenloser Anarchist wie Klaus Kinski, der vor nichts haltmacht?

Kröhnert: Das wär’ schon schön, denn es gibt natürlich unendlich viele Dinge, die mich stören, die ich als falsch und ungerecht empfinde. Das könnten Sie in einem Interview wahrscheinlich gar nicht alles unterbringen. Aber diese Unzufriedenheit ist natürlich auch meine Motivation, das zu tun, was ich tue. Und deswegen ist bei mir auch noch kein Ende abzusehen ganz im Sinne des ehemaligen Staatsratsvorsitzenden Erich Honecker: Vorwärts immer – rückwärts nimmer!