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Atelierbesuch bei Roswitha Bühler in Jerichow Anschmiegsame Paare voller Poesie

20.11.2010, 04:14

Am Gut 8 heißt die Adresse der Bildhauerin und Keramikerin Roswitha Bühler in Jerichow. Ihr Häuschen im Schatten der berühmten backsteinromanischen Jerichower Klosterkirche ist offensichtlich so klein, dass das Navigationsgerät eine punktgenaue Ankunft versagt. In einer Zeile von kärglichen Katen aus Zeiten agrarischer Ausbeutung steht das denkmalgeschützte Bauwerk, dem die Künstlerin aber im Dachgeschoss eine schöne Gaupe aufsetzen konnte.

Von Jörg-Heiko Bruns

Jerichow. Nicht nur von außen, sondern auch im Inneren macht die Gaupe etwas Besonderes aus der großen Stube, die mit ihrem Gebälk den Blick bis in das Spitzdach freigibt. Die unverzichtbaren Bücher und Kunstwerke schmücken den gemütlichen Raum, in dem auch der Notenständer vom turbulenten Leben im Hause kündet. Drei Mädchen gehören zur Familie der 1965 bei Dresden geborenen Künstlerin.

Nach ihrem Abitur erlernte Roswitha Bühler – die Lausitzer Keramik lag nahe – zunächst den Beruf einer Keramik-Malerin. Schon während des Abiturs begann sie ihr Abendstudium an der Hochschule für Bildende Künste in Dresden, was auch während der Ausbildung mindestens einen Zwölf-Stunden-Tag bedeutete.

Bis zum Beginn ihres Studiums 1987 an der Kunsthochschule Berlin-Weißensee schlug sie sich deshalb auch als Briefträgerin durch. Bis 1990 hielt sie es in Berlin aus, dann befand sie "Die große Stadt frisst die Energie weg" und wechselte an die Hochschule in Dresden.

"Ich konnte hier an der Elbe mit dem Fahrrad entlang fahren und empfand das einfach als ländliches Paradies." In Dresden legte sie 1993 ihr Diplom bei Prof. Helmut Heinze ab. Dem folgte ein Stipendium mit einem einjährigen Aufenthalt in der Toskana, der ihr gleichermaßen als Bildhauerin und Keramikerin viele neue und wertvolle Erfahrungen brachte. "Hier entstanden Reliefs, Zeichnungen und Figuren und die Kunst der Etrusker, die ich an verschiedenen Orten sehen konnte, hat mich stark beeindruckt", erzählt die Künstlerin.

1996 siedelte sie sich dann in Jerichow an. Roswitha Bühler gehört offensichtlich zu den Künstlern, die nicht viel Aufhebens um sich machen, was in der Event-Kultur der "Brot-und-Spiele-Gesellschaft" nicht unbedingt vorteilhaft sein muss.

"… wieder angekommen im schwierigen Kunstbetrieb der Neuzeit"

Einige Jahre war künstlerisch gar nichts von ihr zu hören, was sicherlich auch dem Ausbau des Häuschens und der Rolle als Hausfrau und Mutter geschuldet war. Inzwischen hatte sie verschiedene Ausstellungen und Ausstellungsbeteiligungen, beispielsweise im Klostermuseum Jerichow, im Prignitzmuseum Havelberg, im Altmärkischen Museum Stendal und gegenwärtig ganz aktuell im Leibniz Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung (IPK) in Gatersleben, wo die Wissenschaftler schon seit Jahrzehnten eine beachtenswerte Rolle bei der Förderung bildender Kunst spielen.

Im renommierten GRASSI-Museum in Leipzig fielen Bühlers große Figuren, die im Außenraum aufgestellt waren, ins Auge und so gelangten ihre Arbeiten dann auch folgerichtig in die Magdeburger Ausstellung "Der Dinge Stand 2010". Roswitha Bühler ist wieder angekommen im schwierigen Kunstbetrieb der Neuzeit.

Das heißt auch, selbst für Ausstellungen sorgen. So hatte sie gerade eine kleine Ausstellung mit Zeichnungen und Plastiken im ehemaligen Kälberstall des Jerichower Gutes selbst eingerichtet. Das ausgelegte Gästebuch vermerkt vorwiegend positive Zustimmung und ermunternde Aufforderungen.

Die meisten Zeichnungen entstanden beim Akt-Symposium in Colbitz oder beim monatlichen, ebenfalls von Egon Sellin organisierten Treffen in der Feuerwache in Magdeburg-Süd.

"Der Kontakt zu den Berufskollegen und das gemeinsame Arbeiten sind für mich wichtig, in diesem Kreis fühle ich mich gut aufgehoben", kommentiert sie die Zeichenabende.

"Wie Bäume, die im untrennbaren Verbund miteinander aufwachsen"

Vorwiegend aber arbeitet Roswitha Bühler mit Ton und erhält sich auch hier ihre produktive Neugier für die Kunst. An ihrer Drehscheibe für Gefäßkeramik in der engen Werkstatt mit großem Brennofen braucht sie aber nur diesen einen Platz. Schwieriger dürfte es sein, wenn sie ihre fragilen Figuren, zumeist Paare, aus Ton aufbaut.

"Sie sollen sich anschmiegen wie Bäume, die im untrennbaren Verbund miteinander aufwachsen, manchmal aber wenden sie sich auch leicht voneinander ab." Die zur Seite gestellten, nicht ausstellungsfähigen Paare verdeutlichen, wie schwierig es ist, vor dem Brand und nach dem Brand im Ofen die gewünschte Balance zu erzielen.

Die Bemalung ihrer Gefäße weist sie auch als gute Zeichnerin aus. Wenn die tanzenden Hexen, zeichnerisch leicht hingehaucht, friesartig eine ganze Schale oder Tasse umtanzen, strahlt bei aller schönen Sinnlichkeit auch ein leichter Klang von Heiterkeit auf.

Wie in ihren Schalen, Vasen und Tassen ist auch in den Figuren alles auf das Wesentlichste reduziert. Die dünnen, gebogenen und dann miteinander verschachtelten Teilflächen lassen die Zerbrechlichkeit der Figuren und damit menschlichen Seins erahnen. Der Betrachter kann der jeweiligen Fügung eines Paares seine Gedankenwelt hinzufügen und in der Schwerelosigkeit der Figuren eine elegische Harfenmusik aus der Ferne hören oder aber die leisen Orgeltöne aus der romanischen Kirche, die sie jeden Morgen zur Andacht besucht. Der weit gespannte Bogen von der Romanik bis ins 21. Jahrhundert wird ihr weiter wichtiger Inspirationsquell sein.