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Nordharzer Städtebundtheater zeigt "Der Nacktputzer" Keine Charaktere mit einem Fitzelchen an Größe und Würde

Von Hans Walter 06.12.2010, 04:19

"Der Nacktputzer" rief am Freitag zur Uraufführung in die Kammerbühne des Nordharzer Städtebundtheaters in Halberstadt – und vor allem die holde Weiblichkeit kam, das Stück des Dramatikers und Schauspielers Jörg Menke-Peitzmeyer zu sehen und zu schauen.

Halberstadt. Das Vergnügen aber hielt sich in Grenzen. Trotz Kicherei und Gickerei beim Anblick des nackt wirklich sehenswert-attraktiven Titelhelden nur ganze zweieinhalb Minuten tröpfelnder Schlussapplaus für die drei Darsteller, für das Regieteam und den Autor. Warum bloß so wenig Beifall?

Die Fabel: Der Sohn Thomas (Benedikt Florian Schörnig), Ende 30, heuert für seine Mutter Patricia (Edith Jeschke) den Nacktputzer Andrzej (Jörg Vogel) an, damit diese nach 36 Jahren Witwentum endlich wieder einmal einen leibhaftigen nackten Mann zu Gesicht bekommt. Andrzej stammt (wie schon der polnische Vorname sagt) aus Wroclaw, kam nach Deutschland, ist verheiratet, hat zwei Söhne und studierte 19 Semester (!) Sozialwissenschaft, um dann im Job umzusteigen. Ein cleverer Entschluss, der endlich Geld in die Haushaltskasse spülen soll.

Aber Mutter Patricia ist schon versorgt – seit acht Jahren ist sie mit einem Dr. Keck liiert. Kein Interesse, sieht man einmal vom güldenen Plisseerock ab, den sie gegen den Schlabber-Hausanzug gewechselt hatte, als Andrzej sein segensreiches Werk beginnt.

Also ist der Nacktputzer ein Schmäckerchen für Sohn Thomas? Immerhin wurde er in einer Schwulenkneipe bei Lack und Leder gesichtet. Aber Fehlalarm: Er hat seit sechs Jahren ein Verhältnis mit einer Urologin von gegenüber. Trost für die Mutter, dass ihr Sohn mit dem Charme eines gekrümmten Feuersalamanders weder schwul noch Kinderschänder ist.

Bevor der smarte Andrzej mit Mühe und Not sein Geld ausgezahlt bekommt, muss er sich noch den Einbruch einer Anti-Terror-Einheit ins gepflegte Heim und die schlagkräftige Verdächtigung als Al Quaida-Terrorist gefallen lassen. Am Ende stehen Mutter und Sohn wieder traulich vereint zusammen. Alles bleibt so dröge und verklemmt, wie es zu Beginn war. Und Schluss nach 75 langen Minuten. Endlich!

Was bloß trieb den Autoren Jörg Menke-Peitzmeyer an? Ein Schlüsselerlebnis mit dem Charakterdarsteller Kurt Böwe als Kommissar Groth? Nach einem Blick auf einen Nacktputzer soll Böwe am 7. Dezember 1993 in einem Schweriner "Tatort" gesagt haben: "Das ist die Marktwirtschaft!" So eine Szene im Stück – wobei Böwe im "Polizeiruf 110" des NDR spielte und das Datum rein fiktiv ist.

Zur Komödie aber fehlt Entscheidendes: menschliche Charaktere mit wenigstens einem Fitzelchen an Größe und Würde. Alle Konflikte plappern sich weg, lösen sich verbal im Handumdrehen. Damit sind sie verschwunden. Keine der drei Figuren, die genügend tief ausgelotet ist, um nachhaltiges Interesse an ihrem Schicksal zu erwecken. Kein Satz, der über den Moment hinaus von Bedeutung ist. Wo hat Menke-Peitzmeyer bloß solche tönenden Sprachröhren aufgelesen?

Für die Regisseurin Olga Wildgruber als Gast und Ausstatterin Susanne Bachmann galt es, das Nichts zu drapieren. Das gelang vor allem mit der kräftigen, ihr Handwerk souverän beherrschenden Edith Jeschke und der schüchtern-jungenhaften Körperlichkeit Jörg Vogels. Aber für eine erfolgreiche kleine Komödie ist das zu wenig.