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"Sonderzug" brachte in Sachsen-Anhalt Jugendliche hinter Gitter Auftritt eines rebellischen Rockers

Im Jahre 1983 hat der Rock-Musiker Udo Lindenberg das Lied "Sonderzug
nach Pankow" veröffentlicht. Damit sorgte er in der DDR für viel
Aufregung und hielt vor allem die Stasi ordentlich auf Trab.

28.02.2014, 01:20

Magdeburg l Der 26. Oktober 1983 wird für einen (damaligen) Zwölftklässler der Erweiterten Oberschule (EOS) in Havelberg wohl ewig in Erinnerung bleiben. Dabei fängt alles ganz harmlos an: er hört mit seinen Klassenkameraden Musik. Nein, es läuft nicht das Unterhaltungsprogramm im Radio. Die Jugendlichen hören ein spezielles Lied, den "Sonderzug nach Pankow" des westdeutschen Rock-Musikers Udo Lindenberg. Einer dieser Klassenkameraden fand das jedoch problematisch.

Lindenberg galt als Staatsfeind der DDR. Seit 1976 wurde eine Stasi-Akte über ihn geführt. Seine Musik, aber auch er selbst werden vom SED-Regime als kritisch angesehen. So auch sein aktueller Hit, der "Sonderzug nach Pankow".

Der "Sonderzug" wird zum verbotenen Liedgut

In einer rechtlichen Einschätzung der Staatssicherheit vom 7. Februar 1983 wird erklärt, "dass die Passagen des Textes objektiv geeignet sind, die persönliche Würde eines Menschen grob zu verletzen (...)", weil Lindenberg den Generalsekretär Erich Honecker als "Oberindianer" und "sturen Schrat" bezeichnet. Einen Absatz weiter heißt es dazu: "Eine Verbreitung dieses Liedgutes in der Öffentlichkeit stellt somit objektiv eine Straftat der Beleidigung (...) dar."

Der besagte aufmerksame Klassenkamerad aus der Havelberger Oberschule scheint die Rechtsverletzung gleich erkannt zu haben und ruft seine Mutter an, um ihr von dem Vorfall zu berichten. Diese wiederum informiert umgehend den Schulleiter. Auch der reagiert prompt und fordert eine Aussprache aller Beteiligten. Der Vorwurf: Der Schüler habe andere verleitet, verbotene Musik zu hören. Dieser entschuldigte sich, ob freiwillig oder nicht, kann nicht nachvollzogen werden: "Ich bin blind auf die ideologische Diversion des Imperialismus hereingefallen. So muss ich meine Handlungsweise scharf verurteilen und mich für mein Verhalten schämen", schreibt er. Er bekommt für sein Vergehen einen Verweis ausgesprochen.

Das zumindest geben die Akten preis, die im Archiv für Stasi-Unterlagen in der Magdeburger Außenstelle schlummern.

Und der Fall des Havelberger Schülers sei kein Einzelfall, wie Jörg Stoye, Leiter der Magdeburger Stasi-Unterlagen-Behörde, berichtet. Ihm seien Fälle aus ganz Sachsen-Anhalt bekannt, in denen das Hören des Lindenberg-Hits zu Aktenvermerken und sogar heftigen Bestrafungen geführt habe.

Lindenberg war Leitfigur für Jugendliche der DDR

So habe er unter anderem herausgefunden, dass ebenfalls am 26. Oktober 1983 in Zerbst drei Jugendliche festgenommen wurden, weil sie öffentlich den "Sonderzug nach Pankow" hörten, jenes Lied, das auch den Havelberger Schüler in Bedrängnis brachte.

"Man sah die Gefahr darin, dass viele Jugendliche in der DDR in Udo Lindenberg eine Leitfigur sahen", erzählt Jörg Stoye. "Er hat sich abgehoben von den eher lyrischen Liedermachern der DDR. Er war ein politischer Provokateur. Er sprach die Sprache der Jugendlichen. Deshalb war seine Musik und vor allem der `Sonderzug` bei Strafe verboten."

Bestraft wurden an diesem 26. Oktober 1983 noch andere Jugendliche aus dem heutigen Sachsen-Anhalt. Stoye erzählt von Eintragungen aus Wernigerode, Genthin, Havelberg und Zerbst. In allen Fällen ging es um das Hören des Liedes "Sonderzug nach Pankow". Einige kamen mit Verwarnungen davon, andere, so wie die drei Zerbster Jugendlichen, wurden verhaftet und in Polizeigewahrsam genommen.

Für seinen Vortrag zur Ausstellung "Sanfte Töne, starke Worte - Kritische Liedermacher in der DDR", die am Donnerstagabend in der Gedenkstätte Moritzplatz eröffnet wurde, hat sich Jörg Stoye im Magdeburger Stasi-Archiv auf Spurensuche begeben. Nach den Namen bekannter Liedermacher wie Reinhard Lakomy, Manfred Krug oder Wolf Biermann und nach mehr Informationen zum Umgang der DDR-Regierung mit kritischer Musik.

Auf Spurensuche im Stasi-Archiv

Dass er dabei auch auf Udo Lindenberg stößt, scheint zwar ungewöhnlich, aber "dieser einzige Auftritt von Udo Lindenberg am 25. Oktober 1983 im Palast der Republik hat eben weitreichende Folgen gehabt. Auch für die Menschen in Sachsen-Anhalt, wie an den Beispielen zu sehen ist", erzählt Stoye.

In der Ausstellung soll daran erinnert werden, wie sich die Künstler dieser Zeit mit Worten und Melodien an die Menschen wandten, um ihren Unmut zum Ausdruck zu bringen, aber auch, um zu zeigen, wie groß beim Publikum der Reiz war, verbotene Musik zu hören. Die Ausstellung ist noch bis zum 27. März in der Gedenktstätte Moritzplatz zu besichtigen.