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Ein Buch von Sonja Vukovic Das zweite Leben der Christiane F.

26.03.2014, 01:13

Das Schicksal der 14-jährigen, drogenabhängigen Christiane F. aus "Wir Kinder vom Bahnhof Zoo" ging in den 80er Jahren um die Welt. Volksstimme-Volontärin Tanja Andrys sprach mit Sonja Vukovic, die mit Christiane F. am zweiten Teil ihrer Biografie gearbeitet hat.

Volksstimme: Frau Vukovic, wie kamen Sie darauf, quasi eine Fortsetzung zu "Wir Kinder vom Bahnhof Zoo" zu schreiben?

Sonja Vukovic: Ich habe mein Volontariat an der Axel-Springer-Akademie gemacht. Im Rahmen dieser Ausbildung sollten wir uns ein Thema suchen. Eine Netzrecherche ergab, dass es 2011 genau 30 Jahre her war, dass der Film "Wir Kinder vom Bahnhof Zoo" in die Kinos kam. So hatte ich meine Geschichte gefunden.

Volksstimme: Wie haben Sie Kontakt zu Frau Felscherinow aufgenommen?

Vukovic: Ich klingelte an ihrer Tür. "Schmeiß deine Visitenkarte in den Briefkasten", sagte sie bloß, nachdem ich mich und mein Anliegen vorgestellt hatte. Ich schmiss die Karte in den Briefkasten und ging. Ich dachte, ich werde nie etwas von ihr hören.

Volksstimme: Und dann?

Vukovic: Zwei Tage später rief sie tatsächlich an. Später erzählte sie mir, dass sie sich deshalb bei mir gemeldet hat, weil ich die Situation, dass sie mir die Tür zu ihrem Haus geöffnet hatte, nicht ausgenutzt hatte, um mit ihren Nachbarn zu sprechen oder ihre Post zu fischen oder sogar auf sie zu warten. All das hat sie schon erlebt und es gefiel ihr, dass ich ihre Privatsphäre respektierte.

Volksstimme: Durch die Veröffentlichung ihrer Geschichte steht Frau Felscherinow seit mehr als 30 Jahren mal mehr, mal weniger in der Öffentlichkeit. Wie geht sie damit um?

Vukovic: Sie hat sich ja inzwischen offiziell aus der Öffentlichkeit zurückgezogen. Vor allem aus gesundheitlichen Gründen, aber auch als Konsequenz aus der Tatsache, dass in der vergangenen Zeit immer wieder eine Medienhatz auf Leute ausgebrochen ist, zum Beispiel um den Moderator Markus Lanz. Davor hat sie Angst.

Volksstimme: Haben Sie weiterhin Kontakt zu Frau Felscherinow?

Vukovic: Na klar. Wir haben so etwas wie ein freundschaftliches Verhältnis und darüber hinaus arbeiten wir ja noch an der Christiane-F-Stiftung.

Volksstimme: Wie lange haben Sie mit Frau Felscherinow an dem Buch gearbeitet?

Vukovic: Drei Jahre. Manchmal mehrmals wöchentlich, manchmal zwei, drei Wochen gar nicht. Das hing auch von ihrem gesundheitlichen Befinden ab. Insgesamt haben wir uns mehr als 400 Stunden unterhalten, sind verreist, haben gemeinsam ihren Alltag durchlebt, gekocht und auch geshoppt.

Volksstimme: Wie geht es ihr im Moment?

Vukovic: Ihr gesundheitlicher Zustand ist nicht gut und auch psychisch ist sie labil. Christiane leidet infolge einer Hepatitis-C-Erkrankung an einer Leberzirrhose und einer Art Borderlinesymptomatik. In den 35 Jahren nach "Wir Kinder vom Bahnhof Zoo" war nicht viel übriggeblieben außer verblasstem Ruhm und einem Stigma. Aber dann bemerkte ich, wie sie neue Lebenslust entwickelte durch die gemeinsame Arbeit. Sie hatte wieder ein Ziel. Sie blühte richtig auf.

Volksstimme: In einem Interview haben Sie gesagt: "Unsere größte Aufgabe ist es, Christiane F. zu schützen." Wie meinen Sie das?

Vukovic: Ein Mensch wie Christiane ist unglaublich angreifbar. Sie spricht sehr ehrlich und erzählt dabei viel von Versagen und Scheitern. Es gibt Menschen, die sie dafür verurteilen. Darum haben wir versucht, die Wahrheit über Christianes Zustand und die Dinge, die sie getan und erlebt hat, so zu erzählen, dass sie nicht verfälscht sind, aber gleichzeitig verständlich machen, dass es hier um einen Menschen geht, der krank ist und nicht schlecht.

Volksstimme: Wie haben die Medien auf das Erscheinen des Buches reagiert?

Vukovic: Ein Presseansturm! Wir hatten binnen kürzester Zeit 290 Anfragen von Medien aus aller Welt. Vielen mussten wir absagen, weil Christiane weder so viel reisen kann noch zu solch einer Konzentrationsleistung in der Lage ist. Viele Journalisten waren verärgert. Christiane ist eine Person, die polarisiert. Sie weckt großes internationales Interesse, aber sie bleibt eine Antiheldin. Ein Shitstorm hätte sie geschwächt und in eine Ecke gedrängt. Bei allen Fehlern, die sie wohl gemacht haben mag, hat sie so etwas nicht verdient.

Volksstimme: Als Journalistin sollte man zu jeder Geschichte die nötige Distanz wahren, um sie objektiv erzählen zu können. Ist Ihnen das gelungen?

Vukovic: Nein. Anders wäre das Buchprojekt nicht möglich gewesen, denn Christiane geht es in erster Linie um Vertrauen und Nähe, nicht um Arbeit oder gar Geld. Die Arbeit mit ihr hat mich als Mensch und als Autorin wahnsinnig bereichert. Also habe ich mich darauf eingelassen. Ich bereue das nicht.