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Dessauer Meisterhäuser Lebendigkeit braucht Widersprüche

Der 1962 in Halle geborene Künstler Olaf Nicolai hat ein Werk für die rekonstruierten Meisterhäuser Gropius und Moholy-Nagy geschaffen. Es entstanden geputzte Flächen, die an monochrome Malerei und die Lichtexperimente von Moholy-Nagy erinnern. Mit Nicolai sprach Uta Baier.

13.05.2014, 16:58

Volksstimme: Warum hatten Sie Interesse, für die Meisterhäuser zu arbeiten?
Olaf Nicolai: Weil ich die Meisterhäuser schon sehr lange kenne, ohne sie zu kennen. Als ich - noch in der DDR - nach Dessau gefahren bin, habe ich gar nicht viel von den Meisterhäusern als Ensemble gesehen. Das war wie eine verborgene Geschichte und das hat mich beschäftigt. Als mich der damalige Direktor Philipp Oswalt gefragt hat, ob ich eine künstlerische Arbeit im Zusammenhang mit den rekonstruierten Meisterhäusern machen möchte, habe ich zugesagt. Denn mit den Traditionen des Bauhauses beschäftigt man sich gern.

Ist es nicht eigentlich vorbei mit dem Bauhaus? Die Ideen sind hundert Jahre alt.
Das ist absolut richtig. Das Bauhaus ist Geschichte. Wenn ich mich jetzt damit beschäftige, beschäftige ich mich nicht mit der Historie, nicht mit dem nostalgischen Aspekt. Ich greife auf die Impulse zurück, die heute noch virulent sind.

Welche sind das für Sie?
Schlicht und einfach Gestaltung. Der Begriff von Gestaltung, der damals entstand, dieses "form follows function" berührt die Leute heute mehr denn je. Damit setzt man sich auseinander, auch kritisch. Man kann auch sagen, "form follows desire", also dem Verlangen, der Begierde.

Gestaltung ist doch eher ein Thema für Designer.
Nein! Gestaltung ist kein Begriff, der sich heute allein auf Design bezieht. Wir gestalten unser Leben. Ich habe schon vor mehr als zehn Jahren eine Arbeit gemacht, die sich mit dem Cover der englischsprachigen Vogue beschäftigte, der hieß: "The new body. The new clothes. The new you." Da wurde eine direkte Verbindung zwischen Stil, Objekten und der eigenen Persönlichkeit gezogen. Alle Dinge, die wir heute mit Aufmerksamkeit bedenken, werden unter dem Gesichtspunkt betrachtet, wie sie gemacht sind und wie man sie verändern kann. Das ist Gestaltung.

War es der theoretische Ansatz des Bauhauses, der Sie interessiert hat oder ein bestimmter Künstler?
Beides. Ich habe mich schon zur großen Bauhaus-Ausstellung 2009 intensiv mit dem Bauhaus beschäftigt, weil ich die Eröffnungsrede dort gehalten habe. Außerdem interessiert mich Moholy-Nagy seit langem.

Warum gerade Moholy-Nagy?
Er erscheint mir frappierend aktuell. Beispielsweise hat Moholy-Nagy mal einen "Raum der Gegenwart" gestaltet. Darin hat er die Arbeiten von Kollegen vorgestellt, die er interessant und gegenwärtig fand. Schon das ist ein sehr moderner Ansatz. Außerdem fasziniert mich seine Beschäftigung mit dem Licht. Moholy-Nagy versuchte sogar, Wände allein aus Licht zu gestalten. Er hat sich interessanterweise davon abgewandt, als er gesehen hat, dass die Werbung das auch benutzt.

Hat Sie auch Gropius interessiert?
Das Haus des Direktors hebt sich ab, kommt viel herrschaftlicher daher als die anderen Häuser. Ich habe für beide Häuser gearbeitet, aber es gibt schon Unterschiede, die man sehen wird. Mein Arbeitsansatz für beide Häuser kommt aber aus der Beschäftigung mit Moholy-Nagy.

Wie sind Sie bei Ihrer Arbeit vorgegangen?
Für mich war die Frage, kann ich einen Bezug zum Bauhaus herstellen und trotzdem gegenwärtig bleiben. Ich habe bewusst die formal-direkten Referenzen an das Bauhaus - Farben vor allem - nicht benutzt.

Wie reagiert Ihre Kunst auf die Architektur?
Anfangs habe ich mich natürlich mit der Sprache der Architekten beschäftigt. Die haben die Häuser ja nicht einfach wieder aufgebaut. Sie haben eine Re-Konstruktion in den alten Proportionen der Häuser geschaffen. Ihre Häuser sind selbst skulptural und sie haben in die sonst leeren Häuser so genannte "Artefakte" gebaut. Das sind die Treppen und die Balkone, die aus verkleideten und verputzten Holzkonstruktionen bestehen. Das war mein Ausgangspunkt.

Die Oberflächen?
Ja, es gibt jetzt an diesen "Artefakten" vier verschiedene Putze, die sich nur in ihrer Körnung und ihrer Verarbeitung unterscheiden. Dadurch reflektieren sie das Licht auf unterschiedliche Weise - je nach Tageszeit und Blickwinkel. Diese Putze wechseln sich entsprechend der inneren Konstruktion ab. So entsteht ein Spiel monochromer Flächen.
Sie haben schon verschiedene baugebundene Projekte realisiert.

Welche Erfahrungen haben Sie?
Nur, wenn sich Leute mit den Dingen identifizieren, achten sie auf sie. Bei Projekten, bei denen das Interesse irgendwann nicht mehr da war, gab es Haushaltszwänge, dann wurde alles auf das vermeintlich Wesentliche reduziert und dann hat man das Wesentliche weggespart.

Haben Sie da Sorge bei einer Institution wie dem Bauhaus?
Ich denke, das wird beim Bauhaus nicht passieren. Das ist Weltkulturerbe. Aber Sie sehen ja, wie in Sachsen-Anhalt Kulturlandschaft verändert wird und wie unsensibel sie verändert wird. Ich denke nur an die Art, wie der Vertrag des ehemaligen Direktors Philip Oswalt nicht verlängert wurde.

Es war von unterschiedlichen Auffassungen die Rede.
Das große Problem ist, dass es eine Tendenz gibt, Widersprüche auszuräumen. Aber Lebendigkeit entsteht nur, wenn es Widersprüche gibt. Eigentlich muss man Widersprüche herstellen, um Bewegung zu bekommen. Doch ich sehe sehr viel Angst vor Widersprüchen.

Meinen Sie bestimmte Personen?
Es geht nicht um Personen, sondern um die Logik von Prozessen. In den Vorgängen um Philipp Oswalt herum gab es wenig Transparenz oder Diskussionen um Varianten und mögliche Szenarien, die die Zukunft als offen bedenken. So entsteht ein fatales Gefühl. Man steht hilflos daneben und die Leute, die entscheiden, scheinen nicht mehr für andere Argumente erreichbar.

Das ist eine Erfahrung, die die Bauhäusler auch hatten.
Das ist eine Erfahrung, die viele teilen. Man muss Kultur mit Begeisterung wollen und man muss auf die Gegenwart Lust haben, trotz aller Probleme. Wenn man das nicht kann, dann hat man ein Problem.