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Kettcar-Sänger Marcus Wiebusch auf Solo-Tour Ein Lied gegen die Dummheit

04.06.2014, 01:21

Nach 13 Jahren mit seiner Indierock-Band Kettcar wandelt Marcus Wiebusch erstmals auf Solopfaden. "Konfetti" heißt sein Album, am 17. Juni stellt er es in Magdeburg vor. Vorab sprach der Hamburger am Rande eines Besuchs bei Radio Rockland mit Volksstimme-Reporterin Elisa Sowieja.

Volksstimme: Auf einem Soloalbum kann man sich austoben, ohne Rücksicht auf den Stil seiner Band zu nehmen. Haben Sie beim Ideensammeln für "Konfetti" kurz überlegt, mal wieder Punkrock zu machen wie in den 90er Jahren?
Marcus Wiebusch: Nein, mich hat nichts in diese Richtung gedrängt. Aber mir wird gelegentlich gesagt, dass ich bei manchen Songs so brenne wie zu den Zeiten meiner Punkrock-Band But Alive.

Wenn es nicht die Lust auf völlig Kettcar-ferne Musik war, muss Sie etwas anderes auf Solopfade gebracht haben - etwas, das Sie mit der Band nicht machen konnten.
Mit Kettcar hätte ich auch alles machen können. Wir sind eine sehr experimentierfreudige Band. Nur ich wollte in dieser Phase nicht mehr so viel über Musik reden, sondern intuitiver arbeiten. Wenn man seit Jahren ein Team bildet, verhandelt man viel. Das ist einerseits gut, weil man ein gesundes Korrektiv bildet. Andererseits ist es auch langwierig. Ich wollte jetzt mal wieder schneller machen.

Ein genauer Blick ins CD-Booklet zeigt, dass Sie nicht nur schneller machen, sondern offenbar auch anders an die Texte gehen wollten.
Mir war es wichtig, mich weg von den Metaphern zu bewegen, von den gefühligen Songs. Ich wollte mehr hin zu gesellschaftspolitischen Themen wie Homophobie im Fußball oder modernes Hipstertum. Auf dem Album sind sehr klare Songs.

Besonders klare Worte finden Sie in "Der Tag wird kommen". Dem Text merkt man an, wie sehr Sie das Thema Homophobie im Fußball berührt. Woher kommt das?
Ich bin das, was man durch und durch Fußballfan nennt. Ich gehe seit 25 Jahren ins Stadion. Mir hat mal ein befreundeter Sportjournalist von homosexuellen Fußballprofis berichtet, von denen er weiß, was für ein Höllenleben sie führen. Dazu kommt, dass ich im Stadion neben meinem Bruder sitze, er ist homosexuell. Bei einer dieser Solidaritätskundgebungen von St. Pauli gegen Homophobie begannen wir eine angeregte Diskussion. Am Ende sagte er: Es wird nicht passieren, dass sich jemand outet; wir haben dieses Klima nicht. Ich entgegnete ihm: Aber der Tag wird kommen. Das war die Geburtsstunde des Songs. Daraufhin habe ich Bücher über das Thema gelesen, unendlich viel recherchiert und mich noch mal mit dem Sportjournalisten getroffen.

Das klingt nach viel Aufwand für ein einziges Lied.
Ich habe drei Monate lang nichts anderes gemacht, als diesen Song zu schreiben. Aber es war mir wichtig, dass ich keinen Mist erzähle. Es ist schwierig, einen Song zu machen, der sich eines jahrelang tabuisierten Themas annimmt, und das auch noch als Heterosexueller. Deshalb habe auch ich den fertigen Text zum Faktencheck dem Ex-St.-Pauli-Präsidenten Corni Littmann vorgelegt, er ist gut vernetzt in der Fußballbranche.

Haben Sie schon einmal so viel Zeit in einen Song gesteckt?
Nein. Ich wusste, ich darf es nicht vermasseln - nicht nur wegen der besonderen Situation mit meinem Bruder, sondern auch, weil ich diesen Zustand so unfassbar finde. Es sagt viel über unsere Gesellschaft aus, wenn es in einem riesigen sportpolitischen Feld keinen homosexuellen Menschen gibt, der sich ein Outing traut. Allerdings ist der Song trotz der bitteren Stellen auch nach vorne gerichtet.

Woher rührt Ihr Optimismus?
Wenn Sie mir vor zehn Jahren gesagt hätten, dass wir irgendwann einen schwulen Außenminister haben werden, der in Länder reist, in denen Homosexualität unter Strafe steht, hätte ich wahrscheinlich geantwortet: Das wird nicht passieren - Homosexualität und Politik, das funktioniert nicht. Doch sehen Sie an, wo wir heute stehen. Fortschritt ist nicht aufzuhalten. Dummheit wird niemals siegen, weil wir aufgeklärte Menschen sind.

Gesellschaftskritische Songs kommen auf Ihrer Platte nicht zu kurz - Liebeslieder im Stil des Kettcar-Erfolgs "Balu" allerdings schon.
"Balu" habe ich ja schon mit der Band gemacht. Trotzdem ist "Der Tag wird kommen" mit seinem düsteren, gehaltvollen Charakter nur eine Seite der Platte. Die andere ist zum Beispiel "Was wir tun werden" - ein Lied, bei dem ich hoffe, dass die Leute bei den Konzerten oberkörperfrei durch die Halle tanzen.

Apropos Konzerte: Worauf haben Sie bei der Auswahl Ihrer Live-Musiker geachtet, damit die Band nicht nach Kettcar klingt?
Erst einmal habe ich die Songs allein so festgelegt, wie sie jetzt klingen. Und dann habe ich bei der Auswahl der Musiker darauf geachtet, dass sie das, was ich mir beim Album gedacht habe, umsetzen können.Teilweise habe ich Musiker aus meinem Freundeskreis angesprochen - zum Beispiel Tim Neuhaus, einen Singer-Songwriter, der auch Schlagzeuger bei Clueso ist. Nach und nach kam ich zu einer achtköpfigen Band.

Machen Sie etwas anders als sonst, wenn Sie in neuer Formation auf der Bühne stehen?
Ich werde bei drei Songs zum ersten Mal, seitdem ich Musik mache, keine Gitarre umhaben.

Dann fühlen Sie sich sicher nackt.
Total. Aber da muss ich jetzt durch.

Werden Sie bei so viel Neuem auf Ihrer Tour Kettcar vermissen?
Natürlich werde ich die Band hier und da vermissen. Aber ich habe etwas getauscht. Außerdem werden wir mit Kettcar weitermachen. Wir haben die Übereinkunft, dass wir uns im Spätsommer zusammensetzen und gucken, was für ein Album wir aufnehmen wollen. Aber jetzt freue ich mich erst mal wie ein kleines Kind auf die Sache mit den anderen Jungs.

Marcus Wiebusch spielt am 17. Juni im Moritzhof Magdeburg.