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"Die verkaufte Braut" Große Spiellust im Schummerlicht

Wer an die tschechische Nationaloper denkt, hat wohl sofort "Die verkaufte Braut" von Bedich Smetana im Ohr. Bis zum 22.August ist die von der Volksstimme und den Stadtwerken Wernigerode präsentierte Aufführung bei den 19. Schlossfestspielen zu erleben.

Von Hans Walter 11.08.2014, 01:25

Wernigerode l Die Musik ist zauberhaft vom ersten bis zum letzten Ton. Die rasante Ouvertüre, Polka und Furiant, Arien und Chöre - das Philharmonische Kammerorchester intoniert die Klänge des 1866 entstandenen Werkes mit großer Spiellust. "Ich habe die Oper komponiert nicht aus Ehrgeiz, sondern aus Trotz, weil man mir vorgeworfen hat, dass ich ein Wagnerianer sei und im leichten nationalen Stil nichts könne", bekannte der 42-jährige Komponist.

"Smetana" bedeutet auf Tschechisch "Sahne" - und es ist in der Tat allererste Sahne: Die Klangkultur der Philharmoniker unter Leitung von Musikdirektor Christian Fitzner unterstreicht das Tänzerisch-Beschwingte, die volkstonhafte Leichtigkeit dieser "Verkauften Braut" aufs Schönste. Für das Festival bekam das Orchester in Wernigerode sogar ein graziles Zeltdach spendiert, auf dass die Musiker nicht gleich beim ersten Regentropfen fliehen müssen.

Regisseurin Karin Seinsche legt die Handlungszeit auf irgendwann in der Gegenwart. Zwar an den Mikrokosmos des Dorflebens gebunden, aber "mit Themen wie Liebe, Macht, Gewalt und Grausamkeit, Täuschung, Rache, Toleranz und Versöhnung" sieht sie das Geschehen als aktuell-zeitlos.

Die Ausstattung besorgte Hans-Jürgen Kutzner. Das Schloss spielt schön mit; bloß die Beleuchtung ist gewöhnungsbedürftig. Bunt und schummerig. Nichts da mit dem "klaren Licht der Erkenntnis" (Brecht).

Die Handlung spielt in den wenigen Stunden eines Kirchweihtages. Hans liebt Marie - und muss erleben, dass Hochzeitsvermittler Kecal auf wahre Liebe keine Rücksicht nimmt. Er ist ein knallhart-listiger Geldhai im smarten Business-Dress, der mit der Ware Liebe seine Geschäfte macht. Das junge Traumpaar tritt in knapp sitzenden Lederjacken an - sie in Rot, er in Schwarz. Eine Rüstung, um gegen alle Widrigkeiten zu bestehen. Gegen Kecal, gegen die Eltern - das arme Bauernehepaar Krusina und das reiche Grundbesitzerpaar Micha und Háta.

Für den erst 23-jährigen Sänger des Hans - der Koreaner Sang-Myung Shim - eine Traumrolle. Er ist ein jungenhafter Typ in Jeans mit Elvis-Shirt. Ein Rebell mit Sehnsüchten. Seine Arie "Es muss gelingen" könnte für Shim als Motto stehen. Erst seit 2011 studiert er klassischen Gesang an der Musikhochschule Münster. Er besticht durch seinen jugendlichen Heldentenor, durch mühelose Höhen bei bester Textverständlichkeit - als hätte er schon immer Deutsch gesungen. Keine Sprachbarrieren. Ganz große Klasse!

Die Sopranistin Anna Dierl singt und spielt die Marie. Sie ist lyrisch und dramatisch, fröhlich und verzweifelt. Sie hat Ausstrahlung und eine große Stimme. Sie gestaltet ihre Arien "Gern will ich dir vertrauen" und "Wie fremd und tot ist alles umher" mit inniger Schönheit. Ihr Duett mit Hans "Mein lieber Schatz, nun aufgepasst!" wird zum großen Kino; das hornbegleitete A-cappella-Sextett "Ein Weilchen noch, Marie" mit Kecal und den Eltern ist ein feines Psychogramm der gegenstrebenden Seelenregungen. An dieser Stelle ist auch der junge japanische Korrepetitor Shuichiro Sueoka unbedingt zu erwähnen.

In den Vorstellungen ab 13. August sind der Sizilianer Sebastiano Lo Medico als Hans und die Japanerin Makiko Tanaka als Ludmila Kruina zu erleben. Beide gastierten im Juli bei den Bayreuther Festspielen; Anfang September singen sie die Parts der Mimi und des Rodolfo in Puccinis Oper "La Bohème" mit dem Wernigeröder Kammerorchester auf Burg Warberg bei Königslutter. (Das nur einmal zum immensen Spiel- und Probenpensum der Philharmoniker, die eben nicht nur die Schlossfestspiele mit ihren insgesamt 25 Aufführungen und Konzerten bestreiten.)

Als Kecal agiert der Koreaner Kyongmo Seong - der tiefe Bassbariton gefiel besonders im Dukaten-Duett "Komm, mein Söhnchen, auf ein Wort".

Der Tenor Manuel Oswald zeichnet sängerisch und darstellerisch ein überzeugendes Bild des naiv-schüchternen Wenzel. Kein tumber Trottel. Er ist einer, der sich nicht unterkriegen lässt. Er und die Zirkus-Seiltänzerin Esmeralda (Anna Bürk) bringen mit ihrem absoluten Anspruch auf Wahrhaftigkeit und Selbstbestimmung ebenso wie Marie und Hans die Moderne ins Dorf. Sie werden anders leben als ihre Eltern - und das ist gut so! Das ist die Botschaft des Stücks und der turbulenten Inszenierung, durchweg besetzt mit guten Sängern.

Glänzend studiert ist der Chor - Studenten der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover und die Wernigeröder Singakademie. Von "Seht am Strauch die Knospen springen" über die Zirkusbilder bis zum Männer-Trinkchor ein großes Vergnügen. Für letzteren nimmt die Regisseurin sogar bildliche Anregung bei Brueghel auf; der Chor ist auch für die tänzerischen Einlagen verantwortlich. Langanhaltender Applaus für das junge Ensemble am Ende der ausverkauften Premiere am Freitag.

Weitere Vorstellungen am 13., 15., 16., 21. und 22. August