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Jennifer Rostock Singen ist anstrengender als schreien

05.11.2014, 01:09

Jennifer Rostock haben eine CD aufgenommen, die zuerst nur auf Konzerten verkauft wird. Am 21. November kommt die Rockband nach Magdeburg. Vorab sprach Volksstimme-Redakteurin Elisa Sowieja mit Sängerin Jennifer Weist darüber, warum Konzertbesucher so wichtig sind.

Volksstimme: Im Werbetext zur neuen CD heißt es: "Chartrelevanz und Verkaufszahlen - das alles gehört hier nicht her." Ganz schön mutig.

Jennifer Weist: Es soll einfach eine CD sein, die von uns an die Fans geht - an die Leute, die auf unsere Konzerte kommen und immer hinter uns stehen. Deshalb gibt es sie auch zuerst nur auf Konzerten zu kaufen. Uns ist nicht wichtig, im Radio gespielt zu werden. Denn wir denken, dass mindestens zwei Songs ohnehin zu hart dafür sind.

Gab es bei dieser Herangehensweise keinen Ärger mit der Plattenfirma?

Wir haben gerade ein eigenes Label gegründet, weil unser Vertrag bei Warner ausgelaufen ist. Wir hatten immer ein super Verhältnis zu unserer Plattenfirma und haben es auch heute noch. Aber Veränderungen sind nun mal gut, weil sie bedeuten, weiterzugehen. Ein eigenes Label, das bedeutet für uns natürlich sehr viel Verantwortung, und dass wir neue Gebiete betreten. Aber wir finden es super, alles allein zu entscheiden und auf uns gestellt zu sein.

Dann ist es umso mutiger, bei der CD nicht auf Einnahmen zu setzen. Gehen Sie diesen Weg auch deshalb, weil Konzertbesucher wichtiger geworden sind in Zeiten, in denen weniger Musik verkauft wird?

Für uns sind Konzerte immer wichtig. Sie sind das, womit die Band ihre Brötchen bezahlt. Vor allem sind wir nur deshalb so geworden, wie wir sind, weil wir so viel auf Tour gegangen sind. Dort haben wir gezeigt, dass wir uns nicht nur auf Platte ganz gut anhören, sondern auch live etwas bieten können. Auch für junge Bands ist das Wichtigste, dass sie live spielen, live spielen, live spielen.

Die Songs auf der CD sind sehr gegensätzlich. Mal schreien Sie sich die Seele aus dem Leib, mal singen Sie mit Gänsehaut-Stimme. Woher kommen die Extreme?

Wir sind einfach extrem. Jeder hat einen breit gefächerten Musikgeschmack. Das soll sich auch auf unsere Musik niederschlagen, denn wir wollen nichts machen, worin wir uns nicht wiederfinden. Ich liebe es zu schreien, weil das nicht viele Musikerinnen in Deutschland machen können. Ich liebe es aber auch zu zeigen, dass ich Balladen singen kann. Es gehört alles zu uns: über Beziehungen zu sprechen, aber auch Sachen hinauszuschreien, kritisch zu sein und nicht immer nur von hier bis zur Tür zu denken.

Hals-Nasen-Ohren-Ärzten treibt Ihr Schreien sicher Sorgenfalten auf die Stirn. Müssen Sie Ihre Stimme besonders schonen?

Nein, denn ich nutze eine ganz besondere Technik. Ich schreie komplett an meinen Stimmbändern vorbei. Da ist Singen anstrengender. Das einzige, das beim Schreien anstrengt, ist der Druck, den man im Bauch aufbaut.

Wo lernt man das denn?

Früher habe ich einfach immer nur drauflosgeschrien. Irgendwann habe ich Knötchen bekommen und musste mich operieren lassen. Das war ein Einschnitt in meinem Leben, weil es mir meine Grenzen aufgezeigt hat. Ab diesem Zeitpunkt habe ich mich mit dem Schreien auseinandergesetzt. Allerdings bin ich nicht zum Arzt oder zum Stimmbildner gegangen. Ich habe eine Frau gefunden, die in den USA Hardcore-Sänger trainiert. Mit ihr und ihrer Technik habe ich mich sehr beschäftigt. So habe ich meinen eigenen Weg gefunden.

Jennifer Rostock hatten schon Fernsehauftritte, die für Sie eher ungewöhnlich sind - zum Beispiel im "Fernsehgarten". Wonach entscheiden Sie so etwas?

Wir haben in unserem Leben nicht immer Entscheidungen getroffen, die auf lange Sicht gesehen besonders gut waren. Aber wir sind trotzdem froh, dass wir das alles gemacht haben. Jedes Mal wurde demokratisch entschieden. Damals haben wir viele Dinge gemacht, weil wir sie in diesem Moment als lustig empfanden. Dazu stehen wir heute noch. Wir würden einiges nur nicht wiederholen.

Hat beim "Fernsehgarten" jemand wegen Ihrer vielen Tattoos die Nase gerümpft?

Nein, man hätte ja nichts daran ändern können. Sie haben angefragt, also wussten sie, worauf sie sich einlassen.

Verstecken Sie sie zu manchen Anlässen - zum Beispiel, wenn Sie Ihre Schwiegereltern besuchen?

Über so etwas mache ich mir gar keine Gedanken. Gott sei Dank wohne ich in Berlin, da ist das überall kein Problem. Und beim ersten Besuch bei meinen Schwiegereltern hatte ich zwar eine Bluse an, die lange Ärmel hatte - allerdings war sie auch durchsichtig. Ich ziehe mich lieber so an, wie ich mich fühle. Früher oder später sieht man meine Tattoos ohnehin. Außerdem sehe ich keinen Zusammenhang zwischen Tätowierung und Charakter.

Im November spielen Sie in Magdeburg. Eines Ihrer letzten Sachsen-Anhalt-Konzerte hatten Sie an einem besonderen Ort: im Bauhaus Dessau.

Das war außergewöhnlich, weil uns die Leute vom Bauhaus danach gesagt haben, dass es eines der besten Konzerte war, die sie dort je erlebt haben. Ich fand`s superschön, weil die Leute cool drauf waren. Da wir vor so kleinem Publlikum gespielt haben, konnten wir wirklich jeden sehen und auch ein bisschen herumschäkern. Es herrschte eine ganz besondere Atmosphäre. Alle sind aufgestanden und haben mitgemacht. Daran werde ich mich noch lange erinnern.