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Comedian Oliver Polak Dürfen Juden Burn-out haben?

Als Sohn eines Holocaust-Überlebenden tourte der Komiker Oliver Polak
durch die Lande - bis er krank wurde. In dem Buch "Der jüdische Patient"
verarbeitet der gebürtige Papenburger seinen Aufenthalt in einer
psychiatrischen Klinik. Volksstimme-Redakteur Bernd-Volker Brahms traf
ihn in Berlin.

21.11.2014, 01:14

Berlin (vs) l Er sei jahrelang vor dem falschen Publikum aufgetreten, sagt Oliver Polak. Wir sitzen in Berlin in der Szene-Kneipe "Blaues Band". Der 38-Jährige ist jüdischer Stand-up-Comedian. Sein Humor geht oft an die Schmerzgrenze, reicht hin bis zu Gags über Onanieren, Pädophilie und den Holocaust.

Mit den Rappern von KIZ hat er auch schon das Musikvideo "Ich bin Adolf Hitler" aufgenommen. In einer österreichischen Talkshow fragte er kürzlich "Dschungelcamp"-Teilnehmerin Larissa Maroldt, ob sie nicht "die Kampusch" sei - also das Schweizer Entführungsopfer. "Die machte mir so einen verstörten Eindruck", erzählt Polak und spielt dabei auf seinem Smartphone, dass ein völlig zersprungenes Display hat.

Gags jenseits zur Grenze des guten Geschmacks

Als Provokation verstehe er solche Sprüche nicht. Provozierend sei doch eher die Welt um ihn herum. Er selbst als Jude und Sohn eines Emsländer Holocaust-Überlebenden und einer russischen Mutter habe in der norddeutschen Provinz schon immer ein Außenseiterleben geführt. Einzige jüdische Familie in einem streng katholischen Umfeld.

Im "Quatsch Comedy Club" in Berlin und bei "Nightwash" in Köln kommt Oliver Polak mit seinem derben Humor bei jungem Publikum gut an. Auf der Bühne und in der Freizeit trägt er gerne schlabbrige Jogginghosen, Turnschuhe oder Badeschlappen und dazu eine Bomberjacke. Das Outfit ist schon zum Markenzeichen des bulligen, schwarzbärtigen Komikers geworden.

Dass seine Gags gerne mal an der Grenze des guten Geschmacks sind, weiß er selbst. Aber: "Je größer das Tabu, desto besser muss der Gag sein", sagt er und trinkt einen Schluck Apfelschorle.

Vom Kabarett zur Popkultur

"Ich bin zu oft aber auch in Kabarettläden aufgetreten, wo das Ü45-Publikum keine Ironie und keinen Humor hatte", sagt Polak. Man habe in ihm den jüdischen Komiker gesehen. Und als die Kabarettgänger dann keinen Woody Allen präsentiert bekamen, hätten sie mit Unverständnis reagiert.

Er sei zu sehr auf den Juden reduziert und immer weniger als Comedian gesehen worden. "Es war ein einziges Missverständnis", sagt Polak. Aber damit nicht genug, die Leute hätten ihn irgendwie auch benutzt, hätten ihr schlechtes Gewissen bei ihm abgeladen. "Ich kam mir vor wie eine Nutte." Heute spiele er nur noch in popkulturellem Umfeld. Am 24. November tritt er mit seinem Buch "Der jüdische Patient" im Magdeburger Moritzhof auf.

In dem Buch - sein zweites nach dem 2008 erschienenen "Ich darf das, ich bin Jude" - handelt von einem zweimonatigen Aufenthalt in einer psychiatrischen Klinik. Polak litt Ende 2012 unter derart starken Depressionen, dass ihm nur noch eine professionelle Betreuung half. Schonungslos gegen sich selbst beschreibt Polak seine eigene Situation und den Umgang mit der Krankheit. "Burn-out - darf man das als Jude überhaupt haben?", fragt er an einer Stelle mit dem ihm eigenen Humor.

Polak als falsch verstandener Comedian

Mehr als 600 Auftritte in vier Jahren hatte er absolviert. Das enorme Pensum sieht er aber nicht als einzigen Grund für seinen Zusammenbruch. Im Buch fragt sich Polak, wie er an den Tiefpunkt geraten konnte: "Was ist es nur, was mich so abfuckt und mich in diese tiefe Melancholie treibt? Die Geschichte meiner zum Teil ermordeten Familie, die heute eine sehr kleine ist? Die Odyssee meines Vaters während des Zweiten Weltkriegs? Deutschland? Oder, dass ich als jüdischer Stand-up-Comedian in den letzten Jahren feststellen musste, dass Deutschland humorbehindert ist?"

Sein Vater habe zu Hause offen über seine Erlebnisse im Krieg gesprochen, schildert Oliver Polak. Umgekehrt habe sich der Vater auch schon oft Shows von ihm angesehen und nichts Schlimmes dabei empfunden.

Sein Buch sei nicht kommerziell, sondern sperrig, sagt Polak. Er habe viel Post von Leuten bekommen, die sich für die Beschreibung der Depression bei ihm bedankt hätten. Auch medial bekam er große Aufmerksamkeit. Es sei sicherlich nicht nur das Thema Depression, das die Aufmerksamkeit erzeuge, sagt Polak, sondern auch seine ganz spezielle Geschichte. Eben die eines oftmals falsch verstandenen jüdischen Comedians.