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Ausstellung "Grenzenloser Harz" Zeitzeugen entdecken sich wieder

Die Brockenöffnung am 3.Dezember 1989 markiert den Mauerfall im Harz.
Der Fotojournalist Hansjörg Hörseljau hat die bewegenden Szenen damals
für den Spiegel festgehalten. Seine Bilder sind im Schiefen Haus in
Wernigerode zu sehen.

Von Julia Bruns 03.12.2014, 02:12

Wernigerode l "Aufmachen! Aufmachen!" Hunderte Menschen verlangen am 3. Dezember1989, dass das Tor zum Brockenplateau geöffnet wird. Seit Stunden warten einige von ihnen vor der 3,75 Meter hohen Betonmauer, die den höchsten Harzgipfel umschließt. Um 12.47 Uhr ist es so weit - das Tor zum militärischen Sperrgebiet wird geöffnet. Dieser historische Moment jährt sich am heutigen Mittwoch zum 25. Mal.

Unter den Massen, die an diesem sonnigen Wintertag durch den knöcheltiefen Schnee zum Brocken wanderten, war auch der westdeutsche Fotograf Hansjörg Hörseljau. Bepackt mit zwei Kameras - in einer ein Schwarzweiß-, in der anderen ein Farbfilm - begleitete er die DDR-Bürger, wie sie "ihren Sehnsuchtsberg" zurückeroberten. "Für die Harzer ist der 3.Dezember 1989 der eigentliche Gedenktag", sagt der gebürtige Braunschweiger im Volksstimme-Gespräch.

Am Tag der Brockenöffnung sei er für den Spiegel unterwegs gewesen, in dem damals ausschließlich Schwarzweißfotos abgedruckt wurden, erinnert er sich. Hörseljau hielt die bewegenden Szenen dennoch auch in Farbe fest.

75 dieser Aufnahmen sind aktuell in der Ausstellung "25 Jahre freier Brocken - Grenzenloser Harz" im Museum Schiefes Haus in Wernigerode und im historischen Rathaus zu sehen. Die Besucher drängten sich zur Eröffnung am Sonntag vor den Bildern. Viele der Fotos waren bis dato unveröffentlicht. "Der Andrang war riesig. Es sind sogar Touristen aus Japan hier gewesen", sagt Hansjörg Hörseljau. "Sie konnten nicht glauben, dass es auch auf dem Brocken eine derart hohe Mauer wie in Berlin gab."

"Alles, was wir heute erleben, ist viel langweiliger. Es war eine wilde Zeit, und es hat riesig Spaß gemacht."

Viele Ausstellungsbesucher suchten nach bekannten Gesichtern, einige erkannten ihr 25 Jahre jüngeres Abbild wieder. "Eine Quedlinburgerin hat ihre Kinder auf einem der Fotos entdeckt", berichtet der Fotograf. Hörseljau lichtete sie am 3.Dezember1989 ab, wie sie in der Sonne auf der Brockenmauer sitzen. Die Beine baumeln locker herunter.

Es ist eines der Bilder, die 1989 um die Welt gingen. "Das Interesse auch überregionaler Medien war riesig. Damals wurde Zeitgeschichte geschrieben", sagt er. Beim Vorbereiten der Ausstellung sei ihm das Geschehene "nah" vorgekommen. "Alles, was wir heute erleben, ist viel langweiliger. Es war eine wilde Zeit, und es hat riesig Spaß gemacht."

Aufgeregt sei er damals nicht gewesen. "Das war ich Tage zuvor, zum Beispiel als die Grenze bei Zorge aufgemacht wurde." Hörseljau fotografierte, wie die ersten Ostdeutschen dort den Boden der Bundesrepublik betreten. "Das sind zwei ganz spannende Szenen", sagt er und deutet auf zwei Fotografien. Auf dem einen sind die Westdeutschen zu sehen. Ihre erwartungsvollen Gesichter. Das andere zeigt die Menschen aus der DDR - voller Achtung und Respekt.

Hörseljau zeigt in der Schau weit mehr als die Brockenöffnung. So sind eindrucksvoll die Abhöranlagen auf westdeutscher Seite dokumentiert. Eine Bilderserie stellt die Grenzlandschaften der 1980er Jahre denen der 2000er gegenüber. Die erste Zugfahrt auf den Brocken ist ebenso zu sehen, wie Brocken-Benno bei einer seiner Touren.

Seit seiner Jugend fotografiert Hansjörg Hörseljau im Harz. Seine Familie zieht 1974 nach St. Andreasberg. "Mein Schulweg führte über Sonnenberg zum Gymnasium nach Clausthal. Vom Bus aus habe ich den Brocken jahrelang zwei Mal am Tag vor mir gehabt. Er lag zum Greifen nah." Höhe habe ihn schon immer fasziniert. Kirchtürme, Berge - alles will der junge Hörseljau erklimmen, von oben auf die Welt schauen. Nur der Brocken - er scheint für ihn Jahrzehnte unerreichbar, bis zum 3. Dezember 1989.

Vom Konfirmationsgeld kauft er sich seine erste Kamera - Typ "Revue". "Ich bin damit durch den Harz gestreift, war in der Natur und entlang der Grenze unterwegs." Auch aus dieser Zeit sind in der Ausstellung Fotos zu sehen. Nach dem Abitur studiert er in Essen Kommunikationsdesign. Seine Heimat bleibt der Harz - als selbstständiger Fotojournalist kehrt er nach dem Studium ins Gebirge zurück. Bis heute lebt Hansjörg Hörseljau in Claus-thal. "Den Brocken finde ich noch immer schön", sagt er.