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Kammeroper "Der Prozess" in Magdeburg Verloren in der unsichtbaren Macht

Zwei deutsche Erstaufführungen innerhalb weniger Wochen an einem
Stadttheater - das lässt die Theaterwelt aufhorchen. Nach der Oper "Die
Braut von Messina" hatte nun die Kammeroper "Der Prozess" von Philip
Glass eine begeistert aufgenommene Premiere im Magdeburger
Schauspielhaus.

Von Rolf-Dietmar Schmidt 04.04.2015, 01:19

Magdeburg l Eine Kammeroper heißt als Kunstform häufig auch "kleine Oper", weil sie meist in kleinerem Rahmen mit einer kleineren Orchestrierung aufgeführt wird. Inhaltlich, sowohl musikalisch als auch mit einem Libretto nach dem wohl wichtigsten Kafka-Roman "Der Prozess", ist diese Kammeroper von Philip Glass allerdings große Kunst im modernen Opernschaffen.

Das wurde schon bei der euphorisch gefeierten Uraufführung im Oktober letzten Jahres im Linbury Studio Theatre des Royal Opera House in London klar, wobei die gesamte Ausstattung dieser Aufführung in den Magdeburger Theaterwerkstätten entstand.

Hintergrund ist, dass der Kompositionsauftrag an den 77-jährigen Amerikaner Philip Glass, der zu den bedeutendsten Komponisten der Neuzeit gehört, gemeinsam vom Music Theatre Wales, der Royal Opera London, dem Theater Magdeburg und der Scottish Opera erfolgte. Eine glückliche Fügung, befördert von den internationalen Kontakten der britischen Generalintendantin Karen Stone des Magdeburger Theaters.

Partie passgenau auf den Leib geschrieben

Nach der fulminanten Uraufführung in London war schnell klar, dass die Hauptrolle des Bankkaufmanns Josef K. von niemand anderem als dem englischen Bariton Johnny Herford gesungen werden sollte. Ihm wurde die Partie von Philip Glass passgenau "auf den Leib geschrieben", wobei der Sänger seine enorme stimmliche Vielfalt, aber auch sein schauspielerisches Können überzeugend unter Beweis stellte.

Die Rolle des Josef K. ist alles andere als einfach. Der Komponist, häufig auch als Vertreter der minimalistischen Musiksprache bezeichnet, treibt das Geschehen mit seiner typisch statischen Harmonik, stark durch Rhythmik geprägt, der steten Wiederholung melodischer Themen durch feinste Nuancierungen.

Auf diese Weise werden die Veränderungen im Seelenleben des Josef K., die Gefühlswechsel von Verzweiflung, Hoffnung, Ungläubigkeit über das schier Unfassbare, nicht nur untermalt, sondern bilden eine eigene Geschichte, eine musikalische Interpretation des Stoffs.

Dieses nicht einfache Zusammenspiel bewältigten alle Akteure neben dem Protagonisten Johnny Herford, der als einziger eine Einzelrolle hat, mit enorm spürbarer Hingabe.

Die Sopranistinnen Julie Martin du Theil als Fräulein Bürstner und Leni sowie die Mezzosopranistin Sylvia Rena Ziegler als Frau Grubach und Frau des Gerichtsdieners, verbanden beide das Geheimnis der Undurchschaubarkeit mit einer gewissen erotischen Zügellosigkeit, der auch Franz Kafka nicht abhold gewesen sein soll.

Als Gast debütierte der Tenor Michael J. Scott in den Rollen des Malers Titorelli, als Prügler und Student. Den Kaufmann Block und Franz gab der Tenor Markus Liske, der Bariton Roland Fenes brillierte als Advokat Huld und Untersuchungsrichter, der Bass Paul Sketris als Aufseher und in der Rolle als Onkel Albert.

Der Bariton Thomas Florio hielt buchstäblich den seidenen Faden, an dem die gesamte Premiere hing. Trotz Kehlkopfentzündung schlug er die Zuschauer in der Rolle des Gefängniskaplans so in den Bann, dass man die Beschwernis beim Singen schnell vergaß.

Die "Minimal Music" des Komponisten Philip Glass bedeutete für die vier Streicher, sechs Bläser, einen Pianisten und zwei Schlagwerker der Magdeburgischen Philharmonie, die Hermann Dukek am Pult überzeugend leitete, alles andere als das, was der Begriff vermuten lässt.

Die feine Abstimmung zwischen dem Bühnengeschehen und der musikalischen Interpretation erforderte höchste Konzentration.

Verloren im Regelwerk

Bemerkenswert auch die Regiearbeit von Michael McCarthy, die sich in ihrer Minimalistik ganz mit dem kompositorischen Anliegen wie auch dem alptraumartigen Verlorensein des Josef in der Romanvorlage verband. Kafka geht es nicht um Schuld oder Gesetz, sondern um die unsichtbare Macht des Regelwerks.

Wer sich darin verliert, ist verloren. Er wird vom handelnden Subjekt zum behandelten Objekt, ohne Chance der Umkehr. Diese Hilf- und Hoffnungslosigkeit setzte der Regisseur meisterhaft um, auch indem die karge Kulisse (Bühne und Kostüme Simon Banham) überall Fenster und Türen besitzt, durch die der Verlorene unaufhörlich teilnahmslos beobachtet wird.

Und so stirbt der Josef K., egal ob schuldig oder nicht. Er stirbt, weil er der unsichtbaren Macht mit ihrem Eigenleben aus Regeln und Gesetzen nicht entrinnen kann, durch das Messer seiner Wärter "wie ein Hund".

Weitere Vorstellungen der Kammeroper sind in Magdeburg am 5., 11. und 26. April und am 8. Mai geplant.