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Wernigeröder Johanniskirche Lobgesang der Maria auf der "Orgel zur Nacht"

Von Hans Walter 08.07.2015, 01:05

Wernigerode l "Magnifikat" war das 3. Konzert der Reihe "Orgel zur Nacht" in der Johanniskirche Wernigerode überschrieben. Es war ein besonderes Festkonzert zum zehnjährigen Bestehen dieser Reihe. Deren Begründer, der Oberhausener Organist und Kantor Konrad Paul, musizierte am Freitag auf der dreimanualigen großen Ladegast-Orgel. Es stellte die Mutter Maria in den Mittelpunkt und damit den prächtigen gotischen Marienaltar von 1415 des Gotteshauses. 600 Jahre hat er in Schönheit und vergoldeter Pracht überdauert.

Die Vertonungen des Lobgesangs der Maria - das "Magnifikat" - stammten von Johann Sebastian Bach (1685 - 1750), Josef Rheinberger (1839 - 1901) und Sigfried Karg-Elert (1877 - 1933). Ihre Schöpfer gehörten der katholischen und der evangelischen Glaubensrichtung an.

In der Marienverehrung aber trafen sie sich - meditativ wie in Bachs "Fuga sopra Magnifikat", wo sich eine musikalische Schichtung über die andere legt und ein intensives Marienbild zeichnet. Ein nachdenkliches Porträt entstand in Pauls Interpretation von "Meine Seele erhebt den Herrn" aus Bachs Schübler-Chorälen. Ruhig-romantisch im Fluss, wie der Rhein in Rheinbergers Geburtsstadt Vaduz in Liechtenstein, der Mittelsatz (Intermezzo) in F-Dur aus der 4. Orgelsonate. Verhalten, zart, lieblich-süß und zugleich aufrührerisch Karg-Elerts "Ave Maria" aus den "Cathedral Windows" Opus 106. Paul brachte die Orgel zum intensiven Sprechen!

Ökumene als Prinzip des Altars

Paul spielte an diesem heißen Freitag in heller Hose mit schwarzem T-Shirt. Wie privat. Ein Zeichen dafür, dass er mit dieser Kirche eng verbunden ist. Schon als Kind musizierte er in Sankt Johannis, wie sich eine Konzertbesucherin an die Anfänge des 1979 in Wernigerode geborenen und nun auch international stark gefragten Organisten erinnerte.

Dann der Festvortrag von Pfarrer Heinrich Hamel. Der Theologe würdigte in neun Punkten die Botschaft des Marienaltars. Altäre stehen ganz vorn in der Kirche. Im Osten, woher das Licht kommt. Ex oriente lux - eine Reminiszenz an den ersten Schöpfungstag, als Gott das Licht werden ließ. Zeit und Ewigkeit fließen in den Altären zusammen. Ursprünglich waren es Opfertische. In dem Altar der Johanniskirche steht Maria mit dem Jesuskind im Mittelpunkt. Das Kind hält einen Apfel in der Hand. Einen Granatapfel, der nach der Legende 613 Kerne enthält - viele Samen, die in der Welt neue Früchte tragen und im Nachfolgen von Jesus den Glauben verbreiten können.

Ökumene als Prinzip dieses Altars - er wurde in der Hochgotik für ein katholisches Gotteshaus geschaffen, exakt 102 Jahre vor Luthers Thesenanschlag an der Wittenberger Schlosskirche. Damit läutete er die Reformation ein, die auch Wernigerode erfasste und aus der Johanniskirche ein evangelisches Gotteshaus machte. Hamel sieht die Bedeutung dieses Altars als universell an. Für Christen, für andere Glaubensrichtungen wie für Atheisten.

Die anbetenden Könige haben ihre Kronen abgelegt, die Zeichen der Macht. Das Jesuskind langt in ihre Schatzkästchen - nicht anders als heutige Kinder, die es gar nicht erwarten können, ihnen zugedachte Gaben so schnell wie möglich zu enthüllen.

Über den Marienbildern in gotischen Spitzbögen eine Reihe von Frauen. Mit ihrem Leben als Märtyrerinnen, Heilige und Nothelferinnen verweigerten sie sich dem militanten Männerbild. So die Heilige Barbara und die Heilige Dorothea. "Kirchen sind Erfahrungsräume gelebten Lebens", betonte Hamel. Wie der Marienaltar von 1415 als herausragendes Kunstwerk eben auch.

Abschließend spielte Konrad Paul vier Sätze aus der Orgel-sinfonie Nr. 1 d-Moll des Franzosen Louis Vierne (1870 - 1937). Das Scherzo war tänzerisch beschwingt, das Pastoral sanglich heiter und voller musikalischen Witzes. Ein Dialog zwischen Schalmei und Flöte mit Echowirkungen; ein bisschen Ludwig Richters Bild "Brautzug im Frühling" assoziierend. Und dann der tosende Finalsatz - ein gewaltiger Abschluss.