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Am Montag wird die "Magdeburger Zwickmühle" 15 Jahre alt / Hans-Günther Pölitz im Volksstimme-Interview: "Einen Renteneintrittstermin gibt es nicht"

26.02.2011, 04:28

#NULL#Am 29. Februar 1996 begann die Ära des privaten Kabaretts in Magdeburg: Hans-Günther Pölitz gründete die "Magdeburger Zwickmühle". Die Bilanz der vergangenen 15 Jahre ist eine Erfolgsgeschichte: Zehn Jahre lang hatte das Kabarett seine eigene Fernsehsendung beim MDR, mit seiner "Muttilein"-Kolumne ist Pölitz seit 1997 fester Bestandteil von Sachsen-Anhalts Radiolandschaft, und ein Ende ist offensichtlich nicht abzusehen. Über das Jubiläum sprach F.-René Braune mit dem Kabarettisten.

Volksstimme: Wie schwer ist Ihnen vor 15 Jahren die Entscheidung gefallen, das erste private Kabarett in Magdeburg zu gründen? Wie groß war das unternehmerische Risiko?

Hans-Günther Pölitz: Wirklich schwer war diese Entscheidung nicht, viel schwerer war es, sie Jahr für Jahr aufs Neue umzusetzen und mit neuen Programmen an den Erfolg anzuknüpfen. Gründen kann man etwas sehr schnell, das Problem besteht darin, mit dem Gegründeten über die Zeit zu kommen, es zu erhalten.

Meine unternehmerische Kompetenz tendierte damals gegen minus 300 - es war also wesentlich mehr Übermut als Mut erforderlich. So gesehen war es tatsächlich ein Sprung ins kalte Wasser, weil niemand wusste, wie und ob es überhaupt geht. Aber wir sind gesprungen und schwimmen heute noch.

Volksstimme: Es war ja auch der Sprung vom DDR-Kabarettisten, für den volle Säle die Normalität waren, zum privaten Unternehmer, der sein Produkt verkaufen muss ...

Pölitz: Das kann man zwar so sagen, aber 1996 waren wir ja schon sechs Jahre lang BRD-Kabarettisten. Wir hatten die nicht ganz leichte Zeit des Wechsels der Gesellschaftsordnungen und auch des Wechsels im Kabarett hinter uns und wussten, dass es nicht leicht werden würde, weil ja in diesen sechs Jahren für die meisten Menschen viele Dinge wesentlich wichtiger waren als politisches Kabarett.

Die Zuschauer mussten neu gewonnen werden, und sie kamen dann nach und nach wieder. Aber ich muss natürlich auch sagen, dass wir durch unsere Zeit als "Kugelblitze" einen gewissen Bekanntheitsgrad hatten und nicht bei Null beginnen mussten.

Volksstimme: Haben Sie die "Zwickmühle" jemals bereut?

Pölitz: Nein, bereut habe ich sie nicht, aber es würde mir auch nie wieder einfallen, ein privates Unternehmen zu gründen. Das liegt ganz einfach daran, dass man damit auch eine schwere Last an Verantwortung übernimmt - für die Menschen, die in diesem Unternehmen beschäftigt und auf seinen Erfolg angewiesen sind.

Man hat also nicht nur das nächste Programm - den künstlerischen Aspekt - im Kopf, sondern immer auch die Frage, ob alle Beteiligten davon leben können. Und das zu gewährleisten, ist den vergangenen Jahren nicht leichter geworden.

Dass es die Zwickmühle heute noch gibt, ist auch all jenen zu verdanken, die in den vergangenen 15 Jahren zu uns gehalten haben. Und damit meine ich nicht nur das Publikum, sondern auch unsere Mitstreiter hinter den Kulissen.

"Die Zuschauer wollen immer öfter unterhalten werden"

Volksstimme: Sie sagen, dass es nicht leichter geworden ist - spielen Sie damit auf das Mit- und Nebeneinander von privaten Kabaretts in Magdeburg an?

Pölitz: Zum einen das, weil die Kabarettangebote vielfältiger geworden sind. Vor allem aber ist es schwieriger geworden, weil die Zuschauer immer öfter unterhalten werden wollen. Viele kommen aus einer Premiere bei uns und fragen, wann denn die nächste Produktion geplant ist. Dieser Publikumsanspruch zwingt uns gewissermaßen zu Produktionsrhythmen, an die vor 10 oder 15 Jahren gar nicht zu denken war.

Früher haben wir mit einem Programm eine ganze Spielzeit bestritten, heute sind zwei parallel laufende die Norm. Die Vielfalt dessen, was über die Bühne geht, ist viel größer geworden.

Den Anspruch, politische Satire zu machen, haben wir natürlich nie verloren, aber wir müssen mit Form und Inhalt schon experimentieren. Damit ist zwangsläufig das Risiko verbunden, auch mal einen Flop zu landen, weil es dem Publikum vielleicht nicht so gefällt. Andererseits kann Kunst nicht auf Experimente verzichten, sonst ist sie tot.

Ein ganz anderes Experiment ist übrigens anlässlich des Geburtstages der "Zwickmühle" unser Kabarett-Abo - wer eine Abo-Karte kauft, kann fünf Vorstellungen zum Preis von vier besuchen.

Volksstimme: Die Zwickmühle hat ja in ihrer Besetzung eine recht wechselvolle Geschichte - es begann mit Michael Rümmler, dann kam und ging Lothar Bölck, schließlich kamen Marion Bach und Klaus Schaefer. Dennoch war und ist das Haus immer voll. In 15 Jahren besuchten mehr als 545000 Kabarettfans rund 4300 Vorstellungen. Was ist das Geheimnis Ihres Erfolgs?

Pölitz: Wir haben auch in den unterschiedlichsten Konstellationen immer versucht, konsequent politisches Kabarett zu machen. Und das ist sicher ein ganz wichtiger Punkt, weil die Zuschauer uns das gedankt haben. Ich glaube aber auch, dass wir es immer wieder geschafft haben, unser Kabarett an die jeweilige Zeit anzupassen.

Die politische Satire ist ja von den gesellschaftlichen Verhältnissen und Ereignissen abhängig. Anfang der 90er Jahre gab es andere Probleme, da war lange Zeit die Wende- und Wechselproblematik aktuell. Dementsprechend spielte auch die DDR-Mentalität eine Rolle in unserer Art, Kabarett zu machen. Wir haben immer versucht, mit einem ganz bestimmten Pfund zu wuchern - nämlich der Erfahrung aus zwei Gesellschaftssystemen. Wenn man sich unsere Bilanz ansieht, scheint uns das ganz gut gelungen zu sein.

Volksstimme: Haben sich in den vergangenen 15 Jahren Hoffnungen und Erwartungen zerschlagen oder wurden vielleicht auch welche erfüllt, die Sie nie hatten?

Pölitz: Ich habe weder gehofft noch erwartet, dass wir mal eine Fernsehsendung bekommen würden, die zehn Jahre lang aus der "Zwickmühle" gesendet wird. Damit habe ich wirklich nicht gerechnet und das war eine sehr schöne Zeit, die wir nicht missen möchten. Auch deshalb, weil der MDR damals zu uns gekommen ist und wir keine Klinken putzen mussten.

Mit der Radiokolumne war es genauso - da bin ich schon ein bisschen stolz drauf.

"Man muss die Wut jung halten, die in einem ist"

Volksstimme: Wenn man schon so lange Kabarett macht wie Sie - stellen sich dann irgendwann Ermüdungserscheinungen ein? Gibt es ein selbst gesetztes Renteneintrittsalter?

Pölitz: Nein, diesen Punkt habe ich mir bis jetzt noch nicht gesetzt. Obwohl man da natürlich aufpassen muss, weil man selbst den richtigen Zeitpunkt zuletzt bemerkt, auch wenn man noch so selbstkritisch ist. Meist merken die Zuschauer oder Kollegen, dass man den richtigen Zeitpunkt verpasst hat.

Da muss man einfach versuchen, sensibel zu bleiben. Im Moment ist das für mich kein Thema - solange der Kopf und die Gesundheit mitspielen, bin ich wild entschlossen, mich weiterhin zu äußern.

Volksstimme: Sie werden das demnächst - unter anderem -in einem gemeinsamen Programm mit Ihrem alten Spielpartner Lothar Bölck tun - wie kam es zu dieser Wiedervereinigung?

Pölitz: Es gab von der Leipziger Lachmesse die Anfrage, ob wir in einem Preisträgerprogramm zusammen auftreten würden. Lothar und ich hatten im Jahr 2001 den "Leipziger Löwenzahn" gewonnen. Wir haben uns zusammen- gerauft und es hat auf Anhieb funktioniert.

In künstlerischer Hinsicht gab es ja zwischen uns nie Differenzen. Lothar Bölck ist auf eigenen Wunsch vor fünf Jahren aus der Zwickmühle ausgeschieden, weil er mit der Entscheidung nicht einverstanden war, Marion Bach in das Ensemble aufzunehmen. Nach seinem Ausstieg gab es zwar eine Zeit, die zwischen uns nicht so prickelnd war, aber das Leben ist zu kurz, als das ewig die Galle über das Hirn regieren sollte.

Deshalb machen Lothar und ich wieder ein gemeinsames Programm, allerdings kommt er als Gastspieler, nicht als neues altes Zwickmühlen-Mitglied.

Volksstimme: In der deutschen Gegenwart wird immer häufiger von Politikverdrossenheit gesprochen. Liegt nicht gerade in der Notwendigkeit, sich als Kabarettist täglich mit Politik zu beschäftigen die Gefahr, politikverdrossen zu werden?

Pölitz: Das könnte man eigentlich, aber da muss man immun werden, das kann man sich als Satiriker nicht leisten. Vielmehr muss man immer versuchen, die Wut jung zu halten, die in einem ist.

Volksstimme: Was erzürnt Sie denn im Moment am meisten?

Pölitz: Ich bin vor allem über das wütend, was wir schon wieder alles mit uns machen lassen. Beispielsweise dieses Gezerre um die paar Euro mehr für Hartz-IV-Empfänger. Da braucht man mehr als ein Jahr nach dem Urteil des Verfassungsgerichtes.

Wenn aber eine Bank ruft, wird innerhalb einer Nacht eine Entscheidung über Milliarden gefällt. Wer sich das gefallen lässt und ruhig bleibt, ist selbst dran Schuld. Ich kann und will da nicht ruhig bleiben.