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Im Gespräch mit Designer Johannes Milla über das Einheitsdenkmal in Berlin "Dieses Denkmal ist nicht ein bloßes Objekt der Betrachtung"

15.04.2011, 04:32

Das neue Berliner Freiheits- und Einheitsdenkmal soll die Form einer schaukelnden Waagschale haben. Nach der Entscheidung für den Entwurf am Mittwochabend sind die ersten Reaktionen allerdings gespalten. Der Stuttgarter Designer Johannes Milla, der das Denkmal gemeinsam mit der Berliner Choreografin Sasha Waltz erdachte, trägt das mit Fassung. Vielen Denkmälern gingen Kontroversen voraus. Das lege sich, wenn sie gebaut seien, sagte Milla der Nachrichtenagentur dpa.

Frage: In ersten Medienreaktionen auf Ihren Entwurf ist von einer "Salatschüssel der Einheit" die Rede oder von einem Happening. Haben Sie damit ein Problem?

Johannes Milla: Jedem ikonografischen Gebäude oder Denkmal geht eine kontroverse Diskussion voraus. Das war in Berlin bei der Reichstagskuppel so und auch beim Stelenfeld des Holocaust-Mahnmals. Bei beiden Projekten war die Kontroverse beendet, als sie fertiggestellt waren und sich die Menschen durch persönliches Erleben davon überzeugen konnten. Im Moment wird bei unserem Entwurf ja nur über die vorhandenen Bilder diskutiert. Wer das Modell gesehen hat, bekommt schon eine differenziertere Meinung. Wir werden jetzt an dem Entwurf weiterarbeiten. Zum Beispiel werden wir an den Inschriften arbeiten, Zitate aus dem Widerstand von 1988/89.

Frage: Werden Sie diese Feinheiten mit ehemaligen DDR-Bürgerrechtlern abstimmen?

Milla: Natürlich. Fest steht die große Inschrift "Wir sind das Volk. Wir sind ein Volk". Für andere Zitate werden wir jetzt in einen Dialog mit den Initiatoren, den Menschen der Bürgerbewegung von 1988/89, treten. Wir wollen die Inschriften mit ihnen gemeinsam definieren.

Frage: Was drücken Sie mit Ihrem Denkmalentwurf aus?

Milla: Es geht um historische Schichtungen. Auf dem Sockel stand einst ein Reiterstandbild Wilhelms I. Die Deutsche Einheit von 1871 war eine Einheit von oben. Dieses Denkmal wurde 1950 abgetragen. Jetzt wurde dieser Sockel gewählt, um dort eine Einheit von unten zu ehren. Unser Entwurf greift die Form des bestehenden Sockels auf und wölbt ihn nach oben. Er nimmt also Bezug auf diese historische Schichtung. Das Volk hat sich befreit. Deswegen hat dieses neue Denkmal etwas Schwebendes, strebt nach oben und ist auch in die Zukunft orientiert. Das Denkmal steht nicht starr, versteht sich nicht als bloßes Objekt der Betrachtung, es soll begangen und bewegt werden.

"Das ist kein Spek- takel, sondern etwas Würdiges"

Frage: Einige Kritiker nennen Ihren Entwurf einen Erwachsenenspielplatz.

Milla: Es ist in unserem Sinne, dass viele Menschen kommen, um der Bürgerbewegung von 1988/89 zu gedenken. Das Denkmal soll populär im besten Sinne sein. Es wird vervollständigt durch die Besucher, die es betreten und in Besitz nehmen. Die Bewegungen werden ganz langsam sein. Das ist kein Spektakel, sondern etwas Würdiges. Wenn 50 Menschen mehr auf der einen Seite stehen als auf der anderen, bewegt sich das Denkmal. Das passiert nicht von selbst. Besucher jeden Alters müssen sich verständigen, um es in Bewegung zu setzen. Sie kommen aus unterschiedlichen Ländern, Kulturen und Lebenszusammenhängen. Sie kennen sich nicht, aber sie müssen zusammen eine Richtung festlegen. Dieser Prozess des Verständigens und Einigens hat für mich nichts mit einem Spielplatz zu tun. Das ist das Wesen einer jeden Bürgerbewegung.

Frage: Wird die Bauaufsicht diese Wippen-Form denn durchgehen lassen?

Milla: Es ist ein Gerücht, dass es keine Balustraden gibt. Selbstverständlich wird es Geländer geben, sie sind transparent, hauptsächlich aus Glas. Dieses bewegte Denkmal wird vollständig abgesichert sein. Im Vorfeld haben wir ein TÜV-Gutachten eingeholt, dass alles absolut sicher ist. Und selbstverständlich ist es auch behindertengerecht.