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Von F.-René Braune Heiße Schnitte oder: Frauen sind auch bloß Männer

19.05.2011, 04:26

Seit Harald bei mir wohnte, weil seine Heizung kaputt ist, hatte er eine bemerkenswerte Menschwerdung durchlaufen: Immer häufiger erwischte ich ihn beim Staubsaugen, er räumte nahezu täglich sein Zimmer auf und hatte sich in der Küche vom Tellerwäscher zum Spaghetti-mit-Fleischklößchen-Koch hochgearbeitet. Ich hatte mich fast daran gewöhnt, mit einem gedeckten Tisch empfangen zu werden. Genau das machte mir Angst, weil meine hauswirtschaftliche Souveränität mittlerweile im Sterbebett von Haralds Verwöhnungs-Komplott lag. Aus diesem Grund hatte ich mir eine Auszugs-Argumentation zurechtgelegt, die ich heute an den Freund bringen wollte.

Als ich nach Hause kam, war ich enttäuscht – kein Essen, keine Kerzen, kein Wein. Harald saß im Wohnzimmer unter Kopfhörern, schüttelte unentwegt den Kopf und brabbelte: "Das gibt’s doch gar nicht, das hätt’ ich ja nie gedacht." Bei dem Satz, "Die Schnitte muss ja echt heiß sein", machte ich mich bemerkbar.

Harald fing sofort an zu erklären: Im Supermarkt habe er Frau Luderowinskowsky getroffen, mit der er sich schon vor Wochen am Gemüsestand angefreundet hatte, weil sie beim Tomatentesten unüberspürbare erotische Schwingungen ausstrahlte. Sie habe ihm heute mit verschwörerischem Blick eine CD zugesteckt, auf der Frauen ganz offen über Sex reden. Beim Hören dieser Sachen, so mein Freund weiter, wären ihm fast die Ohren verglüht. Da gebe es doch tatsächlich Weibsbilder, die offen zugeben, einfach nur genommen werden zu wollen, weil Sex nicht unbedingt mit Liebe zu tun haben muss und dass sie am nächsten Tag auch nicht angerufen werden wollen, weil es ja nur um die Sache in sich gegangen sei. Die eine habe sogar davon gesprochen, gern mal einen völlig fremden Mann zu benutzen. Einfach so, wenn ihr gerade danach ist.

Harald hielt kurz inne, um nicht zu ersticken und fuhr fort: "Eines ist mir jetzt klar – Frauen sind auch bloß Männer. Aber hätte ich das nicht 30 Jahre früher wissen können? Ich darf gar nicht daran denken, wie viele Kerzen ich hätte sparen können."

Meine Befürchtung, dass sich Haralds Erregung nicht auf seinen Gemütszustand beschränkte, wurde mit seinem nächsten Satz jäh bestätigt: "Ich muss hier raus, ich muss in die Welt, muss mich zur Verfügung stellen. Denn wenn jemand benutzerfreundlich ist, dann ich."

Als Harald meinen irritierten Blick sah, legte er eine Hand auf meine Schulter, sah mir tief in die Augen und meinte: "Kopf hoch, mein Freund, du schaffst das auch ohne mich. Im Kühlschrank ist noch ein kalter Broiler." Dann streckte er die rechte Faust nach vorn, stürmte die Treppe zum Gästezimmer hoch und rief "Attacke!".

Eine Viertelstunde später stand er mit einem gepackten Köfferchen in meinem Flur. Der Abschied nahte und ich hatte Gefühle, die selten so gemischt waren. Da hatte ich wochenlang überlegt, wie ich ihn loswerden könnte, und jetzt zog der Bursche von allein aus. Irgendwie fühlte ich mich benutzt.

Nachdem wir uns schweigend umarmt hatten, zog Harald hektisch die CD aus der Jackentasche, sah auf einen kleinen Zettel, der am Cover klebte, und wählte die darauf vermerkte Telefonnummer. Als sich jemand meldete, klang Haralds Stimme wie das Säuseln des Windes in einer Birke: "Meine liebe Frau Luderowinskowsky, wir wollten doch noch über ihr Tomatensalat-Rezept sprechen – würde es Ihnen in zehn Minuten passen?" Fünf Sekunden später war ich allein …