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Kunstausstellung Rudolf Steiners Kitschsalon

Das Kunstmuseum Halle präsentiert „anthroposophische Kunst“.

Von Uta Baier 21.09.2015, 23:01

Halle l Die Künstler: weitgehend unbekannt. Die Kunstrichtung: ebenso. Beste Voraussetzung für Entdeckungen also. Zu denen lädt das Kunstmuseum in Halle und zeigt eine groß angelegte Ausstellung zu „100 Jahren anthroposophischer Kunst“. Das sei eine bisher unbeachtete Kunstrichtung, klagen die Kuratoren Reinhold J. Fäth und Daniel Voda in Katalog und Saaltexten. Denn die offizielle Kunstgeschichtsschreibung habe die Werke anthroposophisch beeinflusster Künstler ausgeblendet, heißt es weiter – als wäre die offizielle Kunstgeschichtsschreibung eine Institution, die von einer einzigen Macht geleitet würde. Aber lassen wir alle Verschwörungstheorien beiseite, denn es gilt Unbekanntes zu entdecken in Halle: Die Künstlergruppe „‚Aenigma‘ und die anthroposophische Kunst“, die Kunst also, die von der Lehre Rudolf Steiners beeinflusst wurde und die seit 100 Jahren existiert.

Der Philosoph, Pädagoge und Naturwissenschaftler Rudolf Steiner (1861-1925) propagierte eine „spirituelle Erneuerung der Zivilisation“. Es waren schwierige Zeiten nach 1900 und die Lust auf neue Theorien war groß. Franz Kafka hörte Steiner in Prag und war wenig interessiert, Kurt Tucholsky verspottete ihn als „Jesus Christus des kleinen Mannes“, Christian Morgenstern hingegen war Mitglied der von Steiner gegründeten anthroposophischen Gesellschaft.

Die erst kürzlich wiederentdeckte schwedische abstrakte Malerin Hilma af Klint war ebenfalls fasziniert von Steiners Lehre, auch Joseph Beuys beschäftigte sich mit ihm. Und die Begeisterung hält an – zum Beispiel in den mehr als 1000 Waldorfschulen weltweit, in denen Kinder des 21. Jahrhunderts nach Steinerschen Ideen und Vorgaben lernen.

Dass auf der Grundlage von Rudolf Steiners Theorien eine eigene Kunstrichtung entstand, die in den Kanon der Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts aufgenommen gehört, behauptet nun die Hallenser Ausstellung und stellt die anthroposophische Künstlergruppe „Aenigma“ und weitere Künstler vor. Insgesamt sind es 34 mit über 200 Werken. „Aenigma“, die von den – nur Eingeweihten bekannten – Künstlerinnen Maria Strakosch-Giesler und Irma von Duczynska gegründet wurde, existierte zwischen 1918 und 1932. Museumsdirektor Thomas Bauer-Friedrich erklärt, er verbinde mit der Ausstellung „die Hoffnung einer Erweiterung des kunsthistorischen Forschungskanons“.

Diese Erweiterung ist ein hehrer Wunsch. Er wird angesichts des Aquarellgetupfes vom Dunklen ins Helle, den Versuchen, Lichterscheinungen zu malen, angesichts des betulich Immergleichen in gefälligen Schwüngen mit christlichen Kitsch-Motiven sowie schlieriger Farbwirbel in grob behauenen Bilderrahmen mit abgesägten Ecken ausgesprochen schwierig zu erfüllen sein. Dass die abgesägten Ecken etwas zu bedeuten haben im Gedankenkosmos des Rudolf Steiner, macht sie auch nicht origineller und kein bisschen weniger kitschig. Das alles stammt aus verschiedenen privaten und öffentlichen Sammlungen – aus welchen, wird leider nicht gesagt. Auch der 400 Seiten starke Katalog verzeichnet keine Liste der Leihgeber.

Zu guter Letzt wurde auch noch das wunderbare Turmzimmerchen, das sonst die zauberhaft-eigenständigen Bilder des Hallenser Künstlers Albert Ebert beherbergt, zur sakralen Weihestube für grobe, dilettantische Goldschmiedearbeiten und Holzschnitzereien umfunktioniert.

Mit all dem bestätigt die Ausstellung, was beim Lesen der Saaltexte und des Katalogs deutlich wird: Hier werden die Heiligenscheine gleich selbst verliehen. Die Prognose, ob diese erste Ausstellung anthroposophischer Kunst den Weg zu einem Platz in der offiziellen Kunstgeschichtsschreibung frei macht, fällt leicht. Sie lautet: Eher nicht. Auch wenn die Ausstellung noch mit einem Kuriosum und Ausweis der Wirkmächtigkeit von Steiners okkulter Lehre auf manch Sinnsuchenden aufwartet. Am Korrespondenzstandort auf Schloss Ostrau in Petersberg kann eine anthroposophisch inspirierte Kapelle besichtigt werden.

Der Besuch im Hallenser Kunstmuseum lohnt sich natürlich trotzdem – wegen der Kunst aus den Hallenser Sammlungen. Der Unterschied zwischen dem, was Steiner-Jünger nach Steiner-Vorgaben hervorbrachten und dem, was künstlerische Ideen sind, könnte nicht größer sein. Insofern hat diese neuste Hallenser Ausstellung auch ihr Gutes: Sie schärft den Blick für das, was Kunst ausmacht: Originalität, Eigensinn, Lust an der Grenzüberschreitung und Freiheit der Gedanken.

Halle, Kunstmuseum Moritzburg, bis 25. Oktober, täglich außer mittwochs 10 bis 18 Uhr.