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Kurt-Weill-Fest Bloß keine halben Sachen

Das 25. Kurt-Weill-Fest rückt näher, der Abschied des Intendanten auch. Im Gespräch mit Michael Kaufmann.

Von Grit Warnat 24.01.2017, 00:01

Herr Professor Kaufmann, nach der 25. Auflage des Kurt-Weill-Festes geben Sie vorzeitig die Intendanz auf. Das hat viele überrascht. Was waren Ihre Beweggründe?

Vor drei Jahren habe ich als Intendant der Deutschen Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz für das Orchester einen Strukturwandel angestoßen, der jetzt in eine entscheidende Phase geht. Ich habe das Gefühl, dass diese große Kultureinrichtung meine Energie für seine Zukunftsentwicklung braucht. In Dessau leben wir im Moment sehr für das 25-jährige Jubiläum des Kurt-Weill-Festes, aber es muss dann auch kraftvoll weitergehen. Es wäre nicht fair von mir, wenn ich das mit halber Energie machen würde und vor allem auf Etabliertes und Bewährtes zurückgreifen würde. Was Kurt Weill nach meiner Überzeugung überhaupt nicht mochte, sind halbe Sachen. Und ich bin da sehr bei ihm.

Es gab also keine Zerwürfnisse?

Wenn man geht, wird man das immer wieder gefragt. Nein, gab es nicht. Aber es gab ja auch keine Option, beruflich ganz in Dessau zu sein und so war es fast zwangsläufig, meine Tätigkeit hier irgendwann zu beenden. Ich bin sehr glücklich und dankbar, dass es mich vor Jahren in diese Region geführt hat. Und im Moment fällt es mir schwer, mir vorzustellen, dass ich aufhöre.

Sie können das Weill-Fest guten Gewissens übergeben.

Es ist ganz gut bestellt. Wir haben das Festival in den vergangenen Jahren zeitlich und regional ausgeweitet und Themen gefunden, mit denen wir immer mehr Menschen erreicht haben.

Apropos Thema. Deutschland feiert Reformation. Ihr Fest auch. Ist das Motto „Luther, Weill und Mendelssohn“ nicht zu sehr an den Haaren herbeigezogen?

Als ich vor mehr als zwei Jahren darauf angesprochen wurde, ob wir das Reformationsjubiläum thematisieren wollen, habe ich einige Zeit darüber nachdenken müssen, dann aber großen Gefallen an der Idee gefunden. Luther war für mich nie nur ein Religions-, sondern ein gesellschaftliches Phänomen. Es ging nicht nur um das Verhältnis des Christenmenschen zu seiner Kirche, sondern um unser Grundverständnis, wie man als Mensch mit der Obrigkeit und wie die Obrigkeit mit dem Einzelnen umgeht. Wenn man das weiterdenkt, führt das ja zwangsläufig zur Frage, wie das Verhältnis des Einzelnen zu der ihn umgebenden Gesellschaft ist. Und da ist man sowohl nah bei der Aufklärung als auch im Epizentrum der Werke, die Weill geschaffen hat.

Inwieweit findet sich das in Ihrem Programm?

Es gibt eine dreiteilige Serie um die Freiheit des Glaubens, die Freiheit zu philosophieren und die Freiheit des Geistes, in der sich Musik und philosophische innere Betrachtungen vereinen sollen. Es ist ein kleines, besonderes Format im Programm. Auch in den drei Konzerten des MDR-Sinfonieorchesters werden diese Fragen aufgegriffen. Das Programm hat natürlich keinen Anspruch auf Vollständigkeit, aber man findet schon mehr als nur eine krümelige Spur zu den Themen. Mir ist wichtig, dass das Fest Menschen einlädt, sich auf dieser Spur zu bewegen und über bestimmte Dinge nachzudenken.

Sind Sie glücklich mit Ihrem Jubiläumsprogramm?

Ich finde, es ist ein tolles und breit gefächertes Programm, auch wenn man sich ein Jubiläumsprogramm immer noch umfassender und glanzvoller vorstellen kann. Dazu, was noch alles möglich gewesen wäre, können und sollten Intendanten ja auch erfindungsreich sein. Ein Festival ist ein wenig wie ein Hausbau: Man stellt fest, dass der Anbau, den man sich gewünscht hätte, noch warten muss. Es sind also wie schon in den letzten Jahren auch für 2017 manche Pläne nicht realisiert. Aber insgesamt sage ich: Ja, ich bin sehr glücklich mit dem Programm.

Worauf freuen Sie sich besonders?

Ich finde die genannte dreiteilige Serie etwas sehr Kostbares. Text und Musik spielen auch bei einem Hörspielabend mit Julia Hülsmann eine Rolle, bei dem der Fußmarsch von Moses Mendelssohn von Dessau nach Berlin nachempfunden wird. Und zum 25-jährigen Jubiläum gibt es in mehreren Konzerten einen Rückblick auf die Artists in Residence, die in all den Jahren Spuren hinterlassen haben wie Ute Gfrerer, Nils Landgren und James Holmes. Dass wir jetzt als Artist in Residence das MDR-Sinfonieorchester unter Kristjan Järvi und den MDR-Rundfunkchor begeistern konnten, ist wieder ein Gewinn für das Festival. Mit unseren Solisten und Ensembles müssen wir uns vor vermeintlich größeren Festivals nicht verstecken.

Wenn Sie zurückblicken auf den Beginn Ihrer Intendanz: Hat Kurt Weill heute eine größere Akzeptanz?

Ich glaube, wir nehmen Weill heute stärker wahr. Wichtig ist, dass das Fest nicht nur bei den Dessauern geschätzt wird, sondern dass es auf der Landkarte Sachsen-Anhalts angekommen ist. Wir haben immer versucht, Themen zu suchen, die man städteübergreifend in der Region spielen kann. Wir haben mit und neben dem Bauhaus die Marke der Klassischen Moderne stärker ausgebaut, sind nach Magdeburg und Halle, Wörlitz und Wittenberg gegangen. Dass sich jetzt erstmalig alle drei Opernhäuser mit eigenen Produktionen am Fest beteiligen, tut dem Festival und dem Land gut. Das sollte verankert werden. Es wäre gut, das Land würde noch deutlicher sagen: Das hat sich bewährt, Kurt Weill hat das Potenzial für ein Landesfest der klassischen Moderne. Es ergänzt mit Musik, was das Bauhaus in Stein und Glas und vielen Exponaten ist.

Das Festival sollte vom Land finanziell stärker unterstützt werden?

Unser Budget liegt bei zirka 800  000 Euro. Der Anteil des Landes liegt bei etwas mehr als 200  000 Euro. Hinzu kommen Eintrittsgelder, die finanzielle Unterstützung von der Stadt Dessau und von den Sponsoren und Stiftungen. Es wäre aber ja beispielsweise überlegenswert, ob das Land eine bestimmte Zuwendung dafür gibt, dass jedes Jahr eines der drei hiesigen Opernhäuser ein Bühnenwerk von Weill herausbringt, das von Haus zu Haus wandert. Die aktuelle Mahagonny-Inszenierung der Oper Halle zeigt, dass das geht. Sie wird beim Fest auch im Anhaltischen Theater Dessau gespielt. Würde Sachsen-Anhalt zur zentralen Spielstätte für den amerikanischen Weill, könnte das Land nicht nur mit Blick auf das Weill-Erbe punkten, sondern auch mit Blick auf eine andere Vermittlung und Präsentation der Musik des 20. Jahrhunderts.