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Literaturmuseum Eine Festwoche für Gleim

Am 2. April jährt sich der Geburtstag von Johann Wilhelm Ludwig Gleim zum 300. Mal. Halberstadt feiert das.

Von Grit Warnat 25.03.2019, 00:01

Halberstadt l Mit einem Laptop ausgerüstet sitzen Studenten der Medieninformatik der Hochschule Harz im Freundschaftstempel des Gleimhauses. Dort, wo Gleim einst wohnte und wirkte, sind die Wände bis unter die Decke des Fachwerkhauses mit Porträts ausgefüllt. Wer den Freundschaftstempel betritt, schaut in die Gesichter von Schriftstellern wie Lessing, Malern wie Johann Heinrich Tischbein und Gelehrten wie Johann Joachim Winckelmann. Mit ihnen verband der Halberstädter eine mehr oder weniger innige Freundschaft. Jetzt lernen dank einer Audio-Licht-Raum-Installation 31 dieser Porträts sprechen.

Man kann die Bilder zu Themen befragen wie Literatur, Zeitereignisse, Reise, Scherz, Freundschaft, Streit. Der Besucher hört dann einen Text, aufwendig ausgesucht aus dem riesigen Briefkonvolut des Literaturmuseums und eingesprochen von Schauspielern des Nordharzer Städtebundtheaters. Noch klappt nicht alles mit der Zuordnung von Ton und Licht. Die Studenten müssen noch feilen. Am 2. April, zum Start der Festwoche, soll das Projekt „Sprechende Bilder“ eingeweiht werden. Entwickelt und realisiert wurde es in einer Kooperation der Halberstädter Kreativagentur Ideengut mit der Hochschule Harz und dem Gleimhaus.

Ute Pott, die Direktorin des Gleimhauses, hatte mit ihrem Team im Vorfeld die handschriftlichen Briefausgaben durchforstet, Neues gelesen, auch Neues entdeckt. Gleim sei nicht nur ein kluger, er sei auch ein witziger Kopf gewesen, sagt die promovierte Literaturwissenschaftlerin. „Er hatte Freude an reflektierender Kommunikation.“

Der Dichter pflegte nicht nur rege Briefwechsel zu anderen Persönlichkeiten seiner Zunft und Gelehrten des 18. Jahrhunderts. „Gleim steht für eine innovative Briefkultur. Er war ein Pionier“, sagt Pott. Er habe schon mit jungen Jahren das Briefeschreiben zu neuen Ufern geführt, weil er keck und neu geschrieben habe, sich löste von der bis ins 18. Jahrhundert allseits gehandhabten klassischen Rhetorik mit ihren zeremoniellen Regeln. Bei Gleim sei der Text nicht mehr gelehrt und steif gewesen, sondern natürlich und voller persönlicher Bezüge. „Es gab plötzlich das Ich“, sagt Pott.

Auch sechs Jahrzehnte Zeitgeschichte sind in den Briefen manifestiert. Historie soll ebenso erlebbar werden wie Gleims Blicke auf sich selbst und auf seine Freunde. Das Projekt „Sprechende Bilder“ führt somit erstmals die bekannte Bildergalerie im Freundschafts­tempel mit der wertvollen Sammlung zusammen. In Halberstadt, wo Gleim im Jahr 1747 am Domstift – heute würde man sagen – Verwaltungsleiter wurde, sind die Handschriften zu Hause. Dort steht auch die von ihm zusammengetragene beachtliche Bibliothek.

Der 300. Geburtstag ist beste Gelegenheit, sich mit dem einst gefeierten, später auch geschmähten Gleim zu beschäftigen. Vieles ist geplant – die Gleim-Festwoche, die Sonderausstellung zum Scherz und der heiteren Seite der Aufklärung ab 15. Juni, die neue Auflage der „Ausgewählten Werke“, die erstmals zum 200. Todestag im Jahr 2003 herausgegeben wurde und seit langem vergriffen ist.

Vor allem wird man sich bei einem Besuch im Museum immer wieder im Heute erwischen. Natürlich denkt man im beeindruckenden Freundschaftstempel darüber nach, wie man eigentlich selbst seine Freundschaften pflegt. Da kann man schnell sein Smartphone zücken und eine Nachricht über WhatsApp schicken. Aber dann hört man die Schauspieler, die aus Gleims Briefen lesen, und ist ganz schnell bei der Frage, wann man denn zuletzt einen Brief geschrieben hat, mit dem Füller vielleicht, vor allem mit Zeit und Muße? Spätestens da merkt man, dass man sich die Frage sparen kann, was uns dieser Herr Gleim eigentlich heute noch zu sagen hat.