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Mediathek Fernsehen von früher

Wer die Mediathek der ARD durchstöbert, stößt auf unzählige historische Beiträge. "ARD Retro" heißt das neue Label.

Von Grit Warnat 25.11.2020, 09:51

Leipzig l Ein Personalbogen liegt auf dem Tisch, an der Tür steht auf einem Schild "Kaderabteilung. Einstellungsbüro. Einstellung Frauen". Das Büro gehört zum VEB Leuna-Werk. Die Kamera schwenkt durch den Raum, vorher schon durch die vollbesetzte Straßenbahn, die den Strom der Arbeiter zur Schicht brachte. Eine Frauenstimme erzählt, dass sie sich als Ungelernte bewerben will. Es ist das Jahr 1965. In den volkseigenen Betrieben herrscht Arbeitskräftemangel. Wie kann man es vom Hausfrauenleben in einen sozialistischen Großbetrieb schaffen?

Der elfminütige Schwarz-Weiß-Streifen wurde einst von "Prisma" ausgestrahlt. Das innenpolitische Magazin mit dem Untertitel "Probleme – Projekte – Personen" war seit 1963 im DDR-Fernsehen auf Sendung. Jetzt sind einige der einst produzierten "Prisma"-Beiträge bei "Retro Spezial DDR" in der ARD-Mediathek zu sehen: Von der Kontrolle der Arbeiter- und Bauerninspektion (ABI) über Spekulationen mit Gebrauchtwagen bis hin zum Blutspendewesen in der DDR.

Von der "Aktuellen Kamera", der Nachrichtensendung des staatlichen Fernsehens, wurde Marlene Dietrich 1964 bei der Zwischenlandung auf dem Flughafen Berlin-Schönefeld gefilmt. Die Diva gibt ein kurzes Interview. Als Geschenk werden ihr Blumen überreicht und ein Sandmann.

Die "Prisma"-Streifen und Ausschnitte aus der "AK" gehören zum Retro-Angebot des MDR, der als einzige ARD-Anstalt auf keine eigenen Archivbestände aus der Zeit vor 1966 zurückgreifen kann, teilte der Sender mit. Allerdings sei er gemeinsam mit NDR und rbb einer der Erben des Programmvermögens des Deutschen Fernsehfunks (DFF) bzw. des Fernsehens der DDR, das vom Deutschen Rundfunkarchiv verwaltet wird. Dieses Archiv, eine Stiftung von ARD und Deutschlandradio, ermöglicht seit einem Monat Einblicke in Nachrichten- und Magazin-Beiträge des DDR-Fernsehens.

Wer sich durch "Retro" zappt, erlebt vor allem BRD-Historie sowie die Anfänge der Fernsehgeschichte des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Laut ARD wurde Retro gespeist von den Abendschauen der dritten Programme, von Magazinen und einigen Sportsendungen. Beiträge der "Berliner Abendschau" sind online wie John F. Kennedy mit einer Rede zu Deutschland und Berlin vom 20. Juli 1961 oder die Erklärung von Willy Brandt, damals noch Regierender Bürgermeister von Berlin, am Tag des Mauerbaus. Der WDR strahlte 1964 ein Gespräch von Werner Höfer mit Willy Millowitsch aus, das angereichert war mit Bildern des Volkstheaters in Köln. Nur wenigen wird bekannt sein, dass dem auch im Osten beliebten Schauspieler die Sorge um den Erhalt seiner Heimatbühne umtrieb, weil die Eintrittspreise die Kosten nicht mehr auffangen konnten. Manches erinnert an heutige Probleme. Schalke 04 hatte schon 1965 große Abstiegssorgen. Fans gestalteten eine Todesanzeige.

Zappen kann man durch historische Nachrichtenbeiträge, zeit- und kulturgeschichtlich prägende Dokumentarfilme sowie ausgewählte Bildungs- und Unterhaltungssendungen. Laut ARD seien bisher 7000 Beiträge eingestellt, sortiert in verschiedene Themenbereiche. "Promis und Politiker" gibt es zum Beispiel mit Porträts über Schauspielerin Hildegard Knef und Helmut Schmidt, als der SPD-Politiker noch Bundestagsabgeordneter war. Oder die Rubrik "Unsere Städte damals" mit U-Bahn-Bau in München, dem Leben auf West-Berliner Straßen und der Umgestaltung des im Krieg zerstörten Areals um den Kölner Dom. Auch sportlich gehts westlich geprägt zu.

Was bis dato an Videos eingestellt ist, ist bis zum 31. Dezember 1965 entstanden. "Zunächst", heißt es von der ARD. Laut Rundfunkverbund habe sich ab 1966 mit der Änderung des Urheberrechts die Rechteklärung für die Onlinestellung von Archivinhalten deutlich erschwert.

Das Erste startete am 27. Oktober zum Unesco-Welttag des Audiovisuellen Erbes mit dem neuen Angebot. Vorreiter für ARD Retro war der Südwestrundfunk (SWR), der als erster öffentlich-rechtlicher Sender vor einem Jahr historisches Bildmaterial aus seinem Fernseharchiv der Öffentlichkeit zugänglich machte. Der Sender habe inhaltlich das Projekt vorangetrieben, die Federführung für das gesamte Vorhaben liege beim Rundfunk Berlin-Brandenburg (rbb), teilte die ARD mit.