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Megashow Wunderland im Friedrichstadt-Palast

"Vivid" ist die neue, spektakuläre Revue des Berliner Friedrichstadt-Palastes und hält die Besucher in Atem.

Von Grit Warnat 19.11.2018, 00:01

Berlin l Die junge, schüchterne R‘eye ist halb Mensch und halb Maschine. Sie hat sich verändert, als sie in die Erwachsenenwelt eintaucht. Da gibt es plötzlich ein Korsett, weil da Anforderungen da sind und Erwartungen. Und R‘eye stellt sich immer wieder die Fragen, wer sie ist und was eigentlich unser Leben ausmacht. Sie geht auf ihrer Suche nach ihrer Identität hinaus ins Unbekannte.

Soweit die Grundidee der neuen Show. „Vivid“ ist sie überschrieben, was so viel wie hell, ledendig, farbenprächtig, strahlend bedeutet. Wahrlich ist „Vivid“ ein Rausch für die Sinne. Der „Palast“ erschafft mal wieder Welten, die unsere Augen und Ohren von der ersten bis zur letzten Minute fordern. Manchmal fühlt man sich wie bei „Alice im Wunderland“. Vor allem die üppige Dschungelwelt ist so schön, verrückt und surreal, dass man nicht lassen will von den knallbunten Fröschen auf den riesigen beweglichen Stengeln, den flatternden Schmetterlingen, den Affen und Schlangen. Haute-Couture-Hut-Designer Philip Treacy, bekannt für seine Kopfbedeckungen für die Royals und Stars wie Madonna, Lady Gaga und Grace Jones, hat Zebras mit Federn erschaffen und lässt Orchideen aus Köpfen und sexy Wackel-Popos wachsen.

Der Kopfschmuck von R‘eye besteht aus 1800 LEDs und 200 einzelnen Laserpunkten. Intendant Berndt Schmidt, für den „Vivid“ bereits die sechste Großproduktion ist (diesmal mit zwölf Millionen die teuerste), hat immer wieder mit bekannten Namen gepunktet. Zuletzt hatte Modeschöpfer Jean Paul Gaultier das Team mit schier unglaublichem Ideenreichtum ausgestattet. Die jetzige Produktion in der Regie von Krista Monson aus Las Vegas steht dem in nichts nach. Dass sie für den Cirque du Soleil gearbeitet hat, merkt man der Show an.

Es gibt (auch musikalisch) viel Wumm auf der Bühne, aber ebenso wunderschöne poetische Bilder, wenn R’eye in einem gigantischen Sternenhimmel schwebt. Das wärmt das Herz, bevor die androide Zivilisation auf der Bühne die Oberhand gewinnt und alles in kühle blaue, weiße und schwarze Töne getaucht ist. Da wird der Dschungel in all seiner wunderbaren evolutionären Vielfalt abgelöst von Gleichheit und Konformität. Auch die berühmte Girlsreihe, die längste der Welt, mit ihren 32 langbeinigen, grazilen Damen tanzt diesmal im kalten Gleichheitslook – ausnahmsweise hochgeschlossen ganz in Lack. Die extravaganten Hüte leuchten im Gleichtakt und in immer wieder neuen Farben. Treacey hat sie in Montreal anfertigen lassen.

Aber keine Sorge: Viel Körper und Po-Wackeln gibts natürlich trotzdem. Keine Show im „Palast“ ohne knisternde Erotik. Die bieten diesmal vor allem die Männer des Balletts und die muskulösen Akrobaten. Überhaupt bietet die Show wieder jede Menge Künstler am Boden und in der Luft auf. Vieles ist waghalsig, ohne Netz und doppelten Boden. Der Atem stockt einem beim „Double Wheels of Steel“-Act. Riesige rotierende Stahlkonstruktionen mit vier Laufrädern werden von der Decke gelassen. Wie in einem Hamsterrad rennen die Artisten in den Tretmühlen, verlassen sie, springen obenauf mit dem Seil, drehen Salti unterm Hallendach. Der Applaus will nicht enden bei so viel Beherrschung der Fliehkräfte.

Ganz zum Schluss, das kennt man von den Vorgänger-Shows, sind die Zuschauer noch einmal gefordert. R‘eye fühlt sich wie neugeboren und feiert das mit all jenen, die ihr auf ihrem Weg zu sich selbst begegnet sind. Da vereint sich auf der Bühne noch einmal all das Schöne, Schräge, Futuristische zu einer höchst ausgelassenen Party im Konfettiregen.