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Mireille Mathieu Mit Pagenkopf und Porzellanteint

Mireille Mathieu singt noch heute wie vor 50 Jahren. In Frankreich gehört die Sängerin zum nationalen Kulturerbe.

21.07.2016, 23:01

Paris (dpa/AFP) l Schwarzer Pagenkopf, porzellanweißer Teint und rot geschminkte Lippen: So steht Mireille Mathieu seit Jahrzehnten auf der Bühne. Auch die kraftvolle und glockenhelle Stimme der kleinen Französin hat sich nach mehr als 1000 Liedern nicht verändert. Seit einem halben Jahrhundert singt sie von Liebe und Leid. Mathieu, die am heutigen Freitag 70 Jahre alt wird, hat jeden Musiktrend überlebt. Sogar die amerikanische Popsängerin Lady Gaga würde gern einmal mit Mathieu gemeinsam singen.

In einer sich immer schneller verändernden Welt verkörpert Mathieu Zeitlosigkeit. Sie fühle sich in ihrer Haut wohl, erklärte sie in einem Interview. Sie sei eben so gestrickt. Auch bei ihrem Publikum findet man diese Beständigkeit. Noch heute füllen ihre Fans die Musikhallen weltweit.

In Frankreich wird die nur 153 Zentimeter große Mathieu la „Grande Dame“ genannt. Denn die Sängerin gehört mit mehr als 130 Millionen verkauften Tonträgern kommerziell zu den erfolgreichsten französischsprachigen Sängerinnen. Mehr als ein Drittel ihrer Tonträger verkaufte sie in Deutschland. Im Jahr 2014/15 hat sie ausgiebig ihre 50-jährige Karriere gefeiert – mit einer Dreifach-Best-of-CD und einer ausverkauften Tournee durch mehrere Länder. In Deutschland begeisterte sie ihre Fans in zehn Städten.

Mathieu gehört neben Dalida und Edith Piaf zum nationalen Kulturerbe Frankreichs. Im Jahr 1984 erhielt sie das Bundesverdienstkreuz für ihre Verdienste um die deutsch-französische Freundschaft, 1999 wurde sie Ritterin der Ehrenlegion in Frankreich.

Ihr Leben erzählt Mireille Mathieu gerne selbst wie ein Märchen: Wie sie als armes Mädchen im südfranzösischen Avignon aufwuchs – als Ältestes von 14 Geschwistern – bis sie 1964 entdeckt wurde. Ihr Vater, ein Steinmetz, habe ihr die Liebe zur Musik vermacht. Ihre ersten Auftritte hatte sie schon als Kind in der Kirche und auf Festen. Weil sie unter Legasthenie litt, verließ sie die Schule und begann in einer Papierfabrik zu arbeiten, wo sie Briefumschläge faltete. 1964 gewann sie den Wettbewerb für unbekannte Musiktalente in Avignon. Über Nacht wurde aus der einstigen Hilfsarbeiterin ein Star.

1965 durfte sie im Fernsehen auftreten und eroberte mit ihren Interpretationen der Chansons von Edith Piaf sofort die Herzen der Franzosen. Als „Demoiselle d‘Avignon“ reihte sie danach einen Erfolg an den nächsten. Ihr Manager Johnny Stark machte aus ihr bald eine eigene Marke mit eigenen Chansons statt „nur“ zu interpretieren. Er brachte die junge, ehrgeizige Künstlerin auch dazu, in Deutsch, Englisch, Russisch und sogar Japanisch zu singen; Auftritte mit Tom Jones, Dean Martin oder Julio Iglesias folgten. Sie sang Duette mit der schwedischen Popgruppe Abba, dem spanischen Opernsänger Plácido Domingo und dem deutschsprachigen Star-Entertainer Peter Alexander. Weltweit wurde die kleine Französin so zum großen Star.

Die deutschen Bühnen eroberte Mireille Mathieu schnell, darunter den Friedrichstadt-Palast in Ost-Berlin. Hits wie „Hinter den Kulissen von Paris“, „Akropolis adieu“ und „An einem Sonntag in Avignon“ sicherten ihr später einen Stammplatz im westdeutschen Fernsehen.

Mit „Hinter den Kulissen von Paris“ erreichte sie 1969 den dritten Platz der deutschen Hitparade. In Französisch zu singen, sei für sie sehr wichtig: „Die französische Sprache sei so bedeutend wie der Eiffelturm.“

Den Spitznamen „Spatz von Avignon“ verpassten die Deutschen ihrer Lieblingsfranzösin in Anlehnung an die Chanson-Legende Edith Piaf, die als „Spatz von Paris“ berühmt war.

„Meine Stimme und meine Geschichte haben die Menschen berührt“, sagte Mireille Mathieu anlässlich ihres 50. Bühnenjubiläums vor zwei Jahren. „Ich danke Gott für diese Gabe. Ich bin sehr gläubig. Ich bete jeden Tag.“

Die Sängerin ist katholisch und konservativ, eine Frau, von der keine Skandale bekannt sind und keine Geschichten. Nur wenig ist über ihr Privatleben publik geworden. Sie meidet die Sonne, schläft durchschnittlich neun Stunden, isst vorzugsweise Bioprodukte, raucht nicht und trinkt (Bordeaux und Champagner) nur in Maßen.

Und über Liebe singt sie viel, redet aber kaum darüber. Es habe durchaus Männer in ihrem Leben gegeben. Aber eine große Liebe habe sie nicht erlebt, sagte sie einer deutschen Zeitschrift. Verheiratet war sie nie.

Im März dieses Jahres ist ihre Mutter im Alter von 94 Jahren gestorben. „Meine Mama fehlt mir sehr, und meine Trauer ist unermesslich“, sagte die Sängerin vor kurzem in einem Interview der Musikzeitschrift „Meine Melodie“. Ob sie ihren Geburtstag feiern werde, wisse sie deshalb noch nicht.

Für den Herbst plant Mireille Mathieu Konzerte in der Slowakei, Tschechien und in Polen. In Deutschland trat sie zuletzt im Januar in der ARD in „Das große Fest der Besten“ auf. „Ich weiß, dass manche sagen, dass ich altmodisch bin“, antwortete Mireille Mathieu vor wenigen Jahren ihren Kritikern. Aber: „Das Publikum ist mir treu.“ Sie singe immer noch „mit derselben Leidenschaft“ wie früher.