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Musik Großer Liedermacher, kleine Fans

Fredrik Vahle hat mit seinen Songs Generationen von Kindern unterhalten. Nun wird der Liedermacher aus Stendal 75 Jahre alt.

Von Massimo Rogacki 24.06.2017, 01:01

Magdeburg/Salzböden l Es tutet sechs Mal im Hörer. Dann geht Fredrik Vahle ans Telefon. Wer schon mal eines seiner Lieder gehört hat, erkennt sofort den warmen Klang seiner Stimme. „Hätten Sie jetzt nicht angerufen, wäre ich mit meiner Flöte in den Wald gegangen“, sagt der Liedermacher und Autor.

Die Musik ist Vahles Leben. Mal genießt er sie für sich, abgeschieden im Wald, vor seiner Haustür in Salzböden (bei Gießen/Hessen). Meist aber teilt er sie mit vielen. Dann unterhält er auf Konzerten ein großes, überwiegend sehr junges Publikum. Über die Jahre haben ihm seine eingängigen Titel die Bezeichnung „Vater des neuen deutschen Kinderlieds“ eingebracht. „Anne Kaffekanne“, „Katzentanz-Lied“, „Cowboy Jim aus Texas“. Generationen von Kita-Kindern und deren Eltern können die Ohrwürmer mitsingen.

Heute feiert der gebürtige Stendaler Fredrik Vahle seinen 75. Geburtstag. Seiner Zielgruppe, den Kindern, schwört er unverdrossen die Treue. „Ich verfolge mit meinen Liedern keine pädagogischen Ziele“, sagt er. „Die Stücke müssen mir ja auch selbst Spaß machen.“ Im Grunde habe er sich lediglich dem neugierigsten Publikum mit dem größten Anarcho-Faktor – eben den Kindern – zugewandt, sagt der Liedermacher. Mit seinen Kompositionen will er sich den halbwüchsigen Zuhörern nicht anbiedern. Dem musikalischen Einheitsbrei, der heute vielerorts die Beschallung auf Kita-Festen dominiert, kann er nicht viel abgewinnen.

Das liegt auch an seiner musikalischen Sozialisation in Stendal. 1942 wird er dort in eine Künstlerfamilie geboren. Sein Vater ist der Maler Fritz Vahle, seine Mutter die Grafikerin Inge Vahle. Die Eltern hören zu Hause, was man heute als Weltmusik bezeichnen würde. „Das hat mich geprägt“, sagt Vahle.

Seine Kompositionen sind beeinflusst von Musik aus Griechenland, Spanien, der Türkei. Folk, Pop, Shanty – der 75-Jährige ist für alles offen. Die Schere im Kopf, privat oder künstlerisch – der Kinderliedermacher kennt sie nicht.

Er ist 14, als er mit seinen Eltern 1956 aus Stendal nach Hessen übersiedelt. Macht Abitur, studiert Germanistik, Politik und Soziologie in Frankfurt am Main und Gießen, promoviert. 1988 lässt er die Habilitation folgen – mit einer Arbeit über Kindersprache und das Kinderlied. Bis heute lehrt er an der Uni Gießen. „Und musikalisch experimentiere ich eben deshalb so gern, weil ich kein ausgebildeter Musiker bin“, sagt er. Neben seinen Kinderkonzerten in ganz Deutschland veranstaltet er Workshops für Erwachsene und Erzieher, hält Vorträge und Seminare über Sprache und Bewegung.

Unterwegs sein, im Geiste wie auch physisch, das ist ihm wichtig. Heute reist er etwas weniger als früher. Lange Touren „zur Horizonterweiterung“ durch Europa und Mittelamerika hat er schon in den 70ern unternommen. Für ungewöhnliche Aktionen hat er noch immer ein Faible: „2006 bin ich mehrere Wochen zu Fuß durch Deutschland gelaufen“, erinnert sich Vahle. An seinem heutigen Wohnort in Hessen gestartet, habe ihn die Schlussetappe auch durch die Magdeburger Börde und Letzlinger Heide geführt, sagt er. Die letzte Station: Seine Heimatstadt Stendal. „Als ich ankam, reichte mir mein Bart bis zum Bauchnabel“, erinnert sich Vahle amüsiert.

Reisen, das heißt für den Liedermacher, nicht stehenzubleiben. Davon ist er freilich weit entfernt. Noch immer gibt Vahle bundesweit Konzerte. Anlässlich seines 75. Geburtstags erscheinen frühere Veröffentlichungen wie „Der Elefant“ und „Die Rübe“ in einer limitierten Sonderausgabe.

In Stendal lässt er sich regelmäßig blicken. 2015 hat er die Retrospektive anlässlich des 100. Geburtstags seiner Mutter Ingeborg Vahle im Altmärkischen Museum miteröffnet. Zuletzt hat er ein Konzert im Musikforum Katharinenkirche gespielt. „Ich habe eine Stendal-Uhr in mir“, sagt Vahle. „Wenn die zu ticken beginnt, weiß ich, es ist an der Zeit, wieder hinzufahren.“ Zurück in der Altmark besucht er Freunde und – wie sollte es anders sein – musiziert mit ihnen.

Zur Feier des 75. Geburtstags hat er Freunde und Bekannte nach Salzböden eingeladen. Gewünscht hat er sich zu diesem Anlass ein gemeinsames Seminar mit dem nicht so ernst zu nehmenden Titel „Sterben für Anfänger“. „Ist das dein Ernst“, hätten ihn seine Freunde gefragt, sagt Vahle und lacht.

Komisch fühle sich die 75, diese neue Zahl, nicht an, sagt er. Vor der 80 habe er dann schon mehr Respekt, „denn da beginnen ja langsam die Knochen zu knacken“. Noch sei alles ganz passabel.

Fragt man den Liedermacher abschließend, wie sich seine junge Hörerschaft in all den Jahren verändert hat, muss dieser nicht lang überlegen. Sicher, die Medienwelt sei eine andere geworden. Grenzenloser und häufig ungefilterter Musikkonsum gehören schon für die Kleinsten dazu. Eines jedoch sei gleichgeblieben: Kinder durchlebten noch immer die gleichen Entwicklungsphasen wie vor 20, 30 Jahren. Für Fredrik Vahle verkörpern Kinder auch in Zukunft das anspruchsvollste und gleichzeitig begeisterungsfähigste Publikum, das er sich vorstellen kann. Und ganz wichtig: „Solange ich die Kinder erreiche, gibt es keinen Grund aufzuhören.“ Nachdem er das gesagt hat, müssen wir zum Ende des Gesprächs kommen. Denn nun will er wirklich mit seiner Flöte in den Wald. Es sei ihm gegönnt.