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Musiker Deichkind geht mit dem Trend

Die Hamburger Elektro-Rapper von Deichkind haben ein neues Album veröffentlicht. Auf "Wer sagt denn das" gibt es nicht nur Neues zu hören.

Von Dan Tebel 30.09.2019, 00:58

Magdeburg/Hamburg l Wer sagt denn, dass Deichkind nicht mehr ganz vorm im deutschen Musikmarkt mitmischen können? Das wollen die Hamburger Jungs mit ihrem 7. Album, das am Freitag, 27. September 2019, erschienen ist, erneut beweisen. Satte 18 Songs in typischer Deichkind-Manier bilden den Nachfolger des Erfolgsalbum "Niveau weshalb warum" (2015), das sich wochenlang auf Platz 1 in den deutschen Albumcharts hielt.

Der gleichnamige Titelsong "Wer sagt denn das?" ist eines der definitiv stärksten Stücke auf der Platte. Philipp Grütering aka "Kryptic Joe" und Sebastian Dürre alias "Porky", die Vocal-Stammbesetzung, arbeiten sich gesellschaftskritisch daran ab, dass es offensichtlich mittlerweile alles zu hinterfragen gilt. Wem können wir noch glauben? Und was müssen wir hinterfragen? "Wer sagt denn, dass Mark Forster nicht eigentlich Nina Hagen is'"? Und "kennen impulsive Menschen wirklich keine Grenzen"? Fragen über Fragen, die man sich nie stellen würde oder muss. Oder doch? Ziel erreicht.

"1000 Jahre Bier" erinnert stark an "99 Bierkanister" - dem Gerstensaft haben die Hamburger nicht nur auf "Befehl von ganz unten" (2012) musikalisch gehuldigt, auch 2019 können sie es nicht lassen. Dieses Mal hat sich Rammstein-Rocker Till Lindemann in den Refrain geschlichen. Dass die selbsternannte Crew vom Deich auf der neuen Scheibe weiter auf altes Material zurückgreift und neu interpretiert, ist unter anderem in "Keine Party" zu hören. Der eigentliche Clou: während die Band im berühmten "Remmidemmi" (2008) absurde Partys zum Manifest des Spaßtums erhebt, fordern die Hamburger mehr als 10 Jahre später nun die etwas ruhigere Gangart. Möbel aus dem Fenster schmeissen? Wer macht denn bitte sowas? Ein Song für alle, die eigentlich schon zu alt fürs Feiern sein wollen und es doch nicht lassen können. "Keine Party" avanciert damit zum nächsten Partydauerläufer.

Aber heißt das, dass die alten legendären Zeiten, in denen Saufen und Feiern vor Arbeit und Vernunft stehen, bei Deichkind vorbei sind? Werden aus den Deichkindern jetzt endgültig Deichmänner? Es mutet so an, hinter vielen Songs steckt mehr: "Cliffhänger" bezieht sich auf die Streaming-Sucht der modernen Gesellschaft, "Endlich Autonom" thematisiert herrlich ironisch Unsinn und Sinn der Digitalisierung. Der Track "Quasi" deutet auf die grausame Unentschlossenheit mancher modernen Zeitgenossen, die sich eigentlich sozuagen so gut wie nie festlegen können. Kritik schimmert durch, Deichkind beziehen Stellung, aber vieles bleibt Interpretation. Was bleibt ist das Motto: alles maximal mit Absurdität ins Lächerliche ziehen.

Musikalisch entfernt sich der Elektro-Trupp auch mit dem neuen Album immer mehr von seinen eigentlichen Hip-Hop-Wurzeln, mit denen unter anderem Grüning und Dürre auf "Bitte ziehen Sie durch" (2000) und "Noch fünf Minuten Mutti" (2002) nach der Gründung 1997 musikalisch durchstarteten. Aber bereits seit "Aufstand im Schlaraffenland" (2006) sind die Jungs auf den Elektro-Zug aufgesprungen. Ihre Kreativität in der Wort- und Themenwahl und den "Flow" haben sie dabei aber nie verloren. Auch auf dem neuen Album nicht. Und selbst wenn die musikalische Untermalung auf "Wer sagt denn das?" manchmal mit gefühlt einfachem Syntheziser-Sound gegensätzlich zu den schon fast revolutionären Electro-Beats wie auf "Arbeit Nervt" (2008) etwas ausgedünnter scheint, schaffen es die Deichkinder noch immer die Hütte einzureißen. Ob es aber auf der anstehenden Tour noch ein rollendes Fass und Biertrichter für die Massen geben wird, bleibt vorsichtig abzuwarten - aber bei Deichkind ist erfahrungsgemäß mit allem zu rechnen.

Wer sich selbst in der Show überzeugen will, hat unter anderem in Leipzig die Chance dazu.