1. Startseite
  2. >
  3. Kultur
  4. >
  5. Sieben Frauen und ein Kopf

Oper Sieben Frauen und ein Kopf

Am Nordharzer Städtebundtheater hat Can Arslan „Salome“ inszeniert. In Quedlinburg war Premiere des Tanzabends.

Von Joachim Lange 09.09.2019, 23:01

Quedlinburg l Opernfreunden fällt zum Stichwort Salome sofort der geniale Einakter von Richard Strauss ein. Den Theatergängern das zugrundeliegende Stück von Oscar Wilde. Kunstfreunden diverse Bild-Zeugnisse. Und, dass man davon in der Bibel lesen kann, bleibt auch der Generation Google nicht verborgen.

Salome ist die Prinzessin von Judäa, die den gefangenen Propheten Johannes begehrt. Als der sich ihr verweigert, verlangt sie seinen Kopf. Und bekommt ihn in einer Silberschüssel. Opernkomponist Richard Strauss hat sich da am Anfang des vorigen Jahrhunderts weit über den Abgrund Mensch gebeugt. Noch seine „Elektra“ nachgeschoben, dann aber - so als wäre er vor sich selbst erschrocken - wieder aufgerichtet, ist ein paar Schritte zurückgetreten und hat den „Rosenkavalier“ komponiert. Salome dürfte heute gleichwohl alles in allem seine bekannteste, ja geradezu populärste Oper sein.

Wer ein Ballett zu diesem Stoff wagt, der begibt sich, ob er will oder nicht, in seinen Bannkreis. Den Tanz der sieben Schleier, mit dem Salome ihren Stiefvater Herodes verführt, ihr ein Blanco-Versprechen zu geben, das den Propheten den Kopf kostet, ragt auch musikalisch als Solonummer heraus. Dieser Tanz als Mittel der Verführung ist für einen Choreografen Steilvorlage und Hypothek zugleich. Davon muss man sich möglichst originell emanzipieren. Von der Musik sowieso. Also keine Note von Strauss, sondern eine Tonspur von Sebastian Bund. Sie ist bühnenwirksam zwischen Pathos und Minimal art. Mit lakonischen und eskalierenden Rhythmen. Maßgeschneidert für die Phantasie des Choreografen. Ohne Angst vorm Gefühligen, vorm Innehalten oder der Eskalation.

Can Arslan ist diese Emanzipation von den tradierten Bildern im Kopf mit der bescheiden „Kammertanzabend“ benannten, aktuellen Choreografie für vier Tänzer und vier Tänzerinnen verblüffend überzeugend gelungen. Er macht aus den sieben Schleiern, die beim Tanz der Salome fallen, sieben Salomes, also sieben Facetten der Verfügung des Johannes. Michele Carnimeo ist ein eher zarter Johannes mit freiem Oberkörper und weit geschnittenen Beinkleidern. Alle anderen weiblichen (Caterine Cerolini, Masami Fukushima, Veronika Kolomaznikovà, Madoka Sato) und männlichen (Cristian Colatriano, Angelo d’Aiello, Hugo Prunet) Mitglieder des Ensembles sind Salome. Von eins bis sieben. Alle in hautengem Rot mit wehend ausgestellten Röcken. Als Teile des Ganzen, das sie ergeben, wenn sie sich aus dem riesigen scharlachroten Tuch am Boden hervorwinden oder wieder darunter verschwinden. Die Bühne hat Sandra Dehler mit einem Halbrund begrenzt, mit kleinen Öffnungen in Bodennähe, die für’s Auftauchen und Verschwinden benutzt werden können. So wie der drehbare Spiegel in der Mitte der Rückwand. Der erinnert an den Mond über dem Palast des Herodes oder an die Silberschüssel für den Kopf des Johannes. Der König und sein Hofstaat, samt der Juden, alles ist gestrichen. Arslan fokussiert seine Choreografie auf den Kern des Geflechtes aus Obsession und Abwehr. Auf Salome und Johannes. Sie steht für sich als begehrende Frau und für die Verführungen der Welt. Er steht für sich und für den Versuch, sich den Begehrlichkeiten dieser Welt zu entziehen. Eine MeToo-Konstellation verkehrt sozusagen. Am Ende verliert er. Den Kampf und seine Kopf.

Arslan entfaltet dieses Ringen in gerade mal 60 Minuten ziemlich stringent. Zuerst umschmeicheln die anderen Johannes wie ein Ganzes. Dann kommen sie einzeln auf ihn zu. In immer neuen Varianten nähern sie sich, irritieren ihn, bringen ihn dazu, laut vor sich hinzureden, wie in einem Gebet oder als Variante des berühmten Pfeifens im Walde. Er muss sich aggressiver Attacken erwehren. Wenn die Salomes schließlich gemeinsam auftreten, den Saum ihrer Röcke zwischen den Zähnen und ihn einkreisen, dann werden sie zu allem entschlossenen Bacchantinnen.

Am Ende eskaliert die rhythmische Musik zur einkreisenden kollektiven Bedrohung. Bis alle Köper unterm alles bedeckenden Rot wieder verschwinden und nur der Kopf des Johannes bleibt. Zwar nicht auf einer Silberschüssel ,aber im Lichtspott. Als Opfer einer Welt, der er sich vergeblich entgegengestellt hat. Ein verdienter Beifall für exzellente Tänzer, eine phantasievolle Choreografie und einen packenden Tanzabend.