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Operettensommer Bollenhüte auf dem Berg

Der Bierer Berg bei Schönebeck wird für vier Wochen zum Schwarzwald. Die Mitteldeutsche Kammerphilharmonie lädt zum „Schwarzwaldmädel“.

Von Grit Warnat 03.06.2017, 01:01

Schönebeck l Die Sängerinnen Sophia Revilla, Christina Heuel und Daysel Rodgriguez Cardoso probieren sie schon einmal auf, die Bollenhüte, die der Magdeburger Ausstatter Toto ihnen auf den Kopf setzt. Rote Bommeln, schwarze Bommeln. 14 pro Hut müssen es sein, das ist so bei der Schwarzwaldtracht. Und die Farbe? Sie zeigt den Ehestand der Trägerin: Rote Bollen zieren unverheiratete Mädchen, schwarze die verheirateten Frauen. Natürlich gehören die Bollenhüte zu Totos Kostümbild. Sie symbolisieren den Schwarzwald, sie symbolisieren das „Schwarzwaldmädel“, die Operette von Leon Jessel, die in diesem Jahr ihr 100. Bühnenjubiläum feiert. „Aber Schleife und Bolle will ich nicht allzu ernst nehmen“, sagt Toto.

Sein Bühnenbild auf der Freilichtbühne ist noch nicht ganz fertig, aber seine Sicht auf das „Schwarzwaldmädel“ wird schon deutlich: Mit Bollenhut natürlich, aber eben auch mit feinem Tattoo an der Hand und einer Kuckucksuhr als Zeitmesser am Arm. „Bärbele wird entstaubt. Sie ist bei uns jung und selbstbewusst. Eine Frau, die Träume hat“, sagt Katharina Kutil. Bärbele ist das Schwarzwaldmädel, das das Herz des Dorfkapellmeisters Römer in Wallung bringt.

Kutil, die Österreicherin, längst von den Zuschauern geliebt-geschätztes „Inventar“ beim Operettensommer – zum zwölften Mal ist sie „auf dem Berg“, erst als Regieassistentin, jetzt zum dritten Mal als Regisseurin – mag diese Operette. Warum? „Es ist eine schöne Geschichte“, sagt die 47-Jährige. Und weil dieses Stück für eine verflossene Zeit stehe, für Tradition, für Heimatverbundenheit, für Reinheit.

Das „Schwarzwaldmädel“ spielt bereits 1815 in einer stark religiös geprägten Region. Das Libretto wurde hundert Jahre später geschrieben, es war Krieg, die Deutschen waren kriegsmüde, da sehnten sich die Menschen nach Heile-Welt-Themen.

Die Operette feierte Erfolge und katapultierte den Komponisten in die erste Reihe der Operettenmacher seiner Zeit. In der Weimarer Republik wurde der Dreiakter 6000 Mal aufgeführt. Das deutsche Liedgut, dieses Volkstum mochten anfangs auch die Nazis. Dann wurde die Operette verboten. Jessel war jüdischer Herkunft.

Als 1950 der legendäre, millionenfach besuchte Heimatfilm mit Sonja Ziemann und Rudolf Prack in die Kinos kam, als wieder heile Welt gefragt war, lebte Jessel schon nicht mehr. In einem Berliner Gefängnis wurde er zu Nazizeiten gequält, an den Folgen der Misshandlungen starb der Komponist im Januar 1942.

Heute hat sich das „Schwarzwaldmädel“ rar gemacht auf deutschen Bühnen. Jessels einstiger Operetten-Hit wird wenig gespielt, Theater beschränken sich häufig auf die Klassiker. Für Kutil gibt es eine einfache Erklärung dafür: Der Liebesverzicht Römers sei sehr untypisch für eine Operette. „Dadurch bekommt sie eine gewisse Schwere, die Operetten normalerweise nicht haben. Ein Offenbach, ein Strauss hätten diese Liebesgeschichte anders gelöst“, sagt Kutil. Das „Schwarzwaldmädel“ falle aus dem Genre, sei dramaturgisch schwerer zu lösen als eine klassische Operette und wohl auch deshalb in Vergessenheit geraten. „Völlig zu Unrecht“, sagt die Wienerin und begründet das sogleich: „Es gibt tolle Charaktere. Er ist wirklich in den Schwarzwald gefahren und hat den Leuten aufs Maul geschaut. Und die Operette ist gut erzählt, sie hat wunderschöne Musik.“

Als im vergangenen Jahr bei den Vorstellungen des Operettensommers das „Schwarzwaldmädel“ angekündigt worden war, gab es viel Beifall vom treuen Publikum. „Man kennt vielleicht den Inhalt nicht, aber die Operette ist doch sehr bekannt“, sagt Gerard Oskamp, Chefdirigent der Mitteldeutschen Kammerphilharmonie. 71 Prozent der Plätze in den 22 Vorstellungen sind bereits gebucht.

„Ich glaube, dass Menschen gerade in diesen Zeiten voller Unsicherheiten die Sehnsucht haben, sich eine schöne Operette anzusehen. Wissen Sie, man darf auch schöne, lustige, ans Herz gehende Geschichten erzählen“, sagt Kutil.

Wer Kutil kennt, weiß, dass sie das kann. Sie selbst wird auch wieder zu erleben sein. Etwa mit Bollenhut? Kutil lacht. „Als dicker Berliner Tourist.“