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Opernpremiere Große Freude

Ein kleines Orchester im hochgefahrenen Graben, der Chor auf dem Rang, die Zuschauer ein wenig verstreut, aber: endlich wieder Oper!

Von Irene Constantin 13.09.2020, 23:01

Magdeburg l Die Werkauswahl für diese erste Premiere unter den geltenden Hygienebestimmungen konnte nicht geschickter sein. Mozarts Spätwerk „Titus“ war ein Auftragswerk für die Krönung des Habsburgerkaisers Leopold II. zum König von Böhmen. Also hatte das Werk eine staatstragende Barockoper in aller arienrauschender Form zu sein. Mozart ist aber immer Mozart und so wurde aus diesem „Titus“ auch eine psychologisch feinsinnige, lebendige Geschichte.

Ein erfahrener Regisseur wie Dietrich Hilsdorf hat das Kunststück fertiggebracht, diese beiden dramaturgischen Aspekte gleichberechtigt zu verknüpfen. Der Abstand zwischen den Sängern auf der Bühne schien verschwunden, wenn sich die Figuren in allen Gefühls-Farben nacheinander verzehrten, sich zueinander bogen, sehnsüchtig die Arme streckten. Andererseits ist es das opernselbstverständlichste der Welt, wenn eine große Koloraturarie in einsamer Pracht und Herrlichkeit zelebriert wird.

Dass Hilsdorf inmitten seiner barocken Dekoration mit dem Forum Romanum im Hintergrund auch ein bisschen „Theater auf dem Theater“ spielt, soll wohl zum Ausdruck bringen, dass nicht nur die Zuschauer, sondern auch alle Theatermacher Lust haben, sich endlich wieder zu zeigen. Das junge Sängerensemble jedenfalls sprühte vor Spiel- und Sangesfreude; bei aller Melancholie des Stückes.

Der römische Kaiser Titus ist berühmt für seine Milde. Er hat Freude an den Wohltaten, die er kraft seines Amtes den Untertanen und den Menschen seiner unmittelbaren Umgebung bei Hofe bereiten kann. Nur, manchmal klappt das eben nicht. Paare werden getrennt, andere finden nicht zusammen, Eifersucht und Intrige brechen sich Bahn, fast tötet der Freund den Freund. Mit einer Brandstiftung im Kapitol und einem Mordanschlag auf den Kaiser greift die Handlung sogar auf die Staatsebene über. Diesen Einbruch der großen Politik in die privaten Sphären der handelnden Personen hat der Regisseur als ein Warnzeichen für die Brüchigkeit aller Verhältnisse gedeutet. Sein Handlungsschwerpunkt liegt jedoch im Persönlichen, fast Familiären in Titus‘ Umgebung. Dort zeigt er die menschlichen Verwerfungen, die überall vorkommen können und mit denen jeder umgehen muss. Ein Paar kriegt sich in Liebe, jemand anderes macht Karriere, einer flüchtet sich in die Arbeit, die Hauptperson Sextus muss sich nach ihrem Verrat am Kaiser und Freund Titus neu finden.

Emilie Renard sang und spielte diesen jungen Mann, der, von der glamourösen Vitellia zu Mordversuch und Brandstiftung aufgehetzt, zum Tode verurteilt und begnadigt wird. Die vibrierende Jugendlichkeit, die Verführbarkeit und tiefe Reue ihrer Figur brachte Renard sehr anrührend auf die Bühne; stimmlich perfekt im lebendig durchpulsten, nie aber übermäßig dramatischen Mozart-Duktus.

Noa Danon war einfach herrlich unsympathisch, zickig, ehrgeizig, verlogen, berechnend, als machtgierige Vitellia. Am Ende kriegt sie Titus, aber dass es gut gehen wird mit den beiden – eher unwahrscheinlich. Danon lässt ihren Mezzosopran lodern, es ist eine Freude.

„Titus Vespasianus, Kaiser von Rom“, diese Rollenbezeichnung klingt ein wenig steif, und dass Emanuele D’Aguanno auch ein wenig steif agierte, passte bestens. Ein bisschen „mozartischer“, biegsam betörender, könnte seine Tenorstimme noch werden, aber das ist auch schon ein Einwand auf hohem Niveau. Insgesamt stand ein junges Ensemble auf der Bühne, das man rundweg gern hörte und sah. Für Stimmen und Figuren hat die Magdeburger Oper schon öfter ein gutes Gefühl bewiesen. Die Orchesterchefin Anna Skryleva hat eine reduzierte Fassung für die „Titus“-Instrumentalbesetzung geschaffen. Der Orchesterklang war entsprechend durchsichtig, die Musiker hatten konzentriert gut zu tun und lieferten unter Anna Skryleva eine solide Leistung ab. Dass Mozart die Holzbläser im Orchester besonders liebte, war stets zu hören, oft spielen sie herausgehobene solistische Rollen. Die instrumentale Glanzleistung des Abends bot denn auch der Klarinettist des 1. Aktes (man wechselte sich ab). Seine unglaublich zarten Piano-Töne gingen einfach ans Herz.

Überhaupt große Freude im Haus; Dankbarkeit, endlich wieder Oper live zu haben.

Weitere Vorstellungen: 19. und 26. September / 4. Oktober im Opernhaus Magdeburg.