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Puppentheater Modernes Drama als Premiere in Magdeburg

„Meet me in Moskau“ feiert am Puppentheater Magdeburg Premiere. Regisseurin Roscha A. Säidow spinnt darin ein Tschechow-Drama weiter.

Von Massimo Rogacki 18.10.2017, 01:01

Magdeburg l Am Freitag feiert „Meet me in Moskau" am Puppentheater Magdeburg Premiere. Regisseurin Roscha A. Säidow spinnt darin Tschechows Dramen-Klassiker „Drei Schwestern" weiter. Ein Stoff, der moderner kaum sein könnte, erklärt Säidow im Gespräch mit Massimo Rogacki.

Volksstimme: Mit „M – eine Stadt sucht einen Mörder“ haben Sie in der vergangenen Spielzeit ein Schwergewicht der Filmgeschichte auf die Bühne gebracht. Nun also „Meet me in Moskau“ nach Tschechows Dramen-Klassiker „Drei Schwestern“. Was reizt Sie daran?

Roscha A. Säidow: Mit „Meet me in Moskau“ entwickeln wir Tschechows „Drei Schwestern“ fiktiv weiter. Es ist keine Adaption. Wir spinnen den Klassiker nur fort. Am Ende von Tschechows Stück gehen die Schwestern auseinander, ein Umbruch liegt in der Luft. Doch ich lasse sie elf Jahre später bei der Beerdigung ihres Bruders in einer Art Blind Date erneut zusammenkommen. Die Frauen haben sich weiterentwickelt, fallen aber in alte Muster zurück und müssen sich aufs Neue ihrer Vergangenheit stellen.

Bei Tschechow stehen die Schwestern der Realität ratlos und wie gelähmt gegenüber. Wie haben Sie die drei Frauen angelegt?

Über die elf Jahre, in denen sie sich nicht gesehen haben, hat jede der Schwestern ihre eigene Strategie entwickelt, mit ihrer Unzufriedenheit umzugehen: Die eine übertüncht mit einer Weltreise ihre wirklichen Sehnsüchte, die andere macht sich von ihrem Mann abhängig und die dritte richtet sich in ihrem Leben ein und findet zur Zufriedenheit.

Aber der gemeinsame Sehnsuchtsort heißt Moskau.

Richtig. Alle Wünsche werden auf diesen Ort projiziert. Dabei hat keine von ihnen eigentlich wirklich eine Vorstellung davon, was sie in Moskau erwarten würde. Und so hindern sie sich in der Provinz gegenseitig am Loskommen. Ich finde es hochspannend, wie sie mit dieser Konstellation umgehen. Sie sitzen da und überlegen im Konjunktiv, wie schön das Leben sein könnte. Das ist ein wunderbarer Spiegel für gesellschaftliche Strömungen.

Welche gegenwärtigen Zustände greifen Sie denn mit dem Stück auf?

Mir geht es um den modernen Menschen in der Leistungsgesellschaft, im Turbo-Kapitalismus. Ständig muss er sich selbst darstellen, sich behaupten. Mich interessieren diese innerlichen Fragen des Originals aus heutiger Sicht. Wo ist der Halt zwischen den Menschen? Warum müssen sie sich ständig voreinander beweisen? Diese innerlichen Fragen, die das Original aufwirft, sind auch im Heute aktuell.

Und der Zuschauer findet sich im Stück wieder?

Die Schwestern müssen nach elf Jahren den Beweis erbringen, dass sie es allein geschafft haben. Und dann bricht die Vergangenheit in von Form von Puppen-Szenen in die Gegenwart ein und die Schwestern fallen in alte Muster zurück. Jeder kennt das. Du hast dich weiterentwickelt. Und dann kommst du Weihnachten durch die Tür deiner Oma, sitzt am Tisch und bist plötzlich wieder ein Kind. Wie befreit man sich aus überlieferten Mustern, wie wühlt man sich da raus, das ist ein entscheidender Punkt.

Sie arbeiten mit Vorliebe interdisziplinär. Was bedeutet das konkret?

Mir bereitet es Freude, Stile und Kunstformen zu verknüpfen. Ich möchte die Mittel benutzen, die am besten dazu geeignet sind, mit dem Zuschauer zu einem bestimmten Thema in einen Dialog einzutreten. Es ist immer auch eine Auseinandersetzung mit dem Material auf der Bühne, das Hinterfragen von künstlerischen Mitteln. Diesmal arbeiten wir mit von Stop-Motion-Technik inspirierten Figuren. Die Figuren aus der Vergangenheit sprechen quasi selbständig, vom Puppenspieler entkoppelt. Damit haben sie einen anderen Wahrheitsanspruch. Die Schwestern können ihre Vergangenheit somit nicht so einfach beschönigen.

Sie haben eigentlich Schauspielregie studiert. Was begeistert Sie am Puppenspiel?

Als ich an der „Ernst Busch“ (Schauspielschule, d. Verf.) die Puppenspiel-Abteilung kennengelernt habe, war ich hin und weg. Du kannst ganze Welten erfinden, die nichts mit der Realität zu tun haben. Es wird sehr abstrakt und assoziativ gearbeitet. Das einzige Limit ist deine Fantasie.

In den kommenden zwei Jahren sind Sie „Artist in Residence“ am Puppentheater. Was steckt hinter diesem Begriff?

„M – eine Stadt sucht einen Mörder“ war meine erste Arbeit am Puppentheater. Sie hat beiden Seiten Lust gemacht auf eine intensivere und kontinuierliche Zusammenarbeit. Aus diesem Grund bin ich für die nächsten zwei Jahre „Artist in Residence“, was mit der Verpflichtung, eine gewisse Anzahl von Stücken zu schreiben und zu inszenieren, einhergeht. Außerdem denke ich an der Weiterentwicklung des Hauses mit. Meine nächste Inszenierung wird übrigens das Hofspektakel sein – das wird dann etwas ganz anderes als „Meet me in Moskau“.