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Reformation Wie Luther Amerika veränderte

Hochkarätige Exponate Luthers reisen derzeit durch die USA. Dort ist der Einfluss des deutschen Reformators bis heute unverkennbar.

Von Johannes Schmitt-Tegge 24.10.2016, 23:01

New York (dpa) l Als der Ozeandampfer im Jahr 1934 von den USA in Richtung Frankreich ablegt, heißt Martin Luther King Sr. mit Vornamen noch Michael. Mit zehn weiteren Predigern nimmt der schwarze Baptistenpastor die Fahrt nach Europa auf sich, um am Kongress des Baptistischen Weltbundes in Berlin teilzunehmen. Während seiner Zeit in Deutschland stößt Michael King dann aber immer wieder auf einen Namen, den er schließlich selbst übernehmen wird: Martin Luther.

Nicht nur seinen eigenen Vornamen ändert der Afroamerikaner aus Georgia zu Ehren des berühmten Reformators aus Eisleben. Auch der kleine Sohn Michael, später einflussreichster Bürgerrechtler der USA, wird im Alter von fünf Jahren umbenannt und heißt nun: Martin Luther King Jr. Der Einfluss des deutschen Theologen auf die Vereinigten Staaten und die amerikanischen Kirchen ist bis heute ungebrochen – nun befassen sich dort gleich drei Ausstellungen mit Luther.

„Amerika ist, obwohl es sich jetzt wandelt, ein protestantisch geprägtes Land“, sagt Louis Nebelsick von der Universität Warschau, der die Schauen mit kuratiert hat. Das Wirken Luthers sei spürbar – und das, obwohl die vermutlich älteste europäische Siedlung in den USA in St. Augustine (Florida) noch gar nicht gegründet war, als Luther im Jahr 1517 seine 95 Thesen gegen den Ablasshandel veröffentlichte. Erst 1776 – gut zweieinhalb Jahrhunderte später – gründeten sich die Vereinigten Staaten als Nation.

Doch als die Gründungsväter die US-Verfassung zu Papier brachten, während in Frankreich gerade die Revolution einsetzte, hielten sie die Religionsfreiheit gleich im ersten Zusatzartikel fest. Und so wie Luther gegen die Autorität der katholischen Kirche rebelliert hatte, lehnte sich das koloniale Amerika gegen die angeblich gottgegebene Herrschaft der Monarchien in Europa auf. „Amerika war das erste Mal, dass Lutheraner sich außerhalb eines Herrschaftsgebietes angesiedelt hatten, wo sie nicht die Regierungsgewalt innehatten“, so Nebelsick.

In New York, wo die hochkarätigen Exponate neben Ausstellungen in Atlanta (Georgia) und Minneapolis (Minnesota) zu sehen sind, habe Luther die Menschen schon lang fasziniert, sagt Colin Bailey, Direktor des Morgan Library and Museum in New York. So habe auch Privatbankier John Pierpont Morgan 1911 in Leipzig einen handschriftlichen Brief Luthers an Kaiser Karl V. ersteigert, in dem dieser einen Widerruf seiner umstrittenen Thesen ablehnte. Morgan zahlte damals 25 000 Dollar – heute wären das schätzungsweise 750 000 Dollar (689 000 Euro).

Nicht zuletzt, weil die Museen in Deutschland sich auf das Lutherjahr 2017 vorbereiten, um das 500-Jahre-Jubiläum der Reformation zu feiern, können die Exponate durch die USA touren. So hat der Brief, der eigentlich im Wittenberger Lutherhaus zu sehen ist und den Morgan Kaiser Wilhelm II. geschenkt hatte, der ihn wiederum an die damalige Lutherhalle weiterreichte, seinen Weg zu Morgan zurückgefunden: Die Morgan Library ist die von Morgans Sohn geschaffene Institution, die sich der Unternehmer für seine Bibliothek immer gewünscht hatte.

Wiederzufinden ist Luther heute auch im Mittleren Westen der USA, wo Lutheraner ihre Kirchen mit Lutherrosen zieren – das im Briefverkehr verwendete Siegel des Theologen und Universitätsprofessors. Im Süden, in urbanen Zentren wie Atlanta, ist es die Verbindung zum schwarzen Bürgerrechtler King. In Minneapolis wiederum stoßen die deutschen Exponate geradezu auf das Herz des lutherischen Kernlandes der USA. Selbst die unzähligen Freikirchen seien „sehr von Luther geprägt“, sagt Nebelsick, auch wenn sie „keine formalen Brücken“ haben.

„Life, liberty and the pursuit of happiness“ – die amerikanischen Grundsätze individueller Selbstentfaltung wären ohne Luther so vielleicht nicht oder erst deutlich später in eine Staatsform gegossen worden. Luther habe „als mittelalterlicher Mystiker einen Zugang zu Gott gesucht“, sagt Nebelsick. „Dasselbe werden sie in Amerika finden, diese Idee, dass man für das eigene Schicksal verantwortlich ist und man als Individuum fungiert.“